Die 4. Gewalt

7. September 2008
Bildteil

Die freie Presse, überhaupt freie Medien, gelten als Inbegriff einer freien, offenen Gesellschaft. Allerdings sollen sie bei uns nicht so frei sein, dass sie "bestimmend" wirksam werden können. Bei uns soll eine "kontrollierte" Freiheit herrschen. Medien, die in aller Freiheit sich ihrer Freiheit enthalten und sich nicht einmischen. Weil die grösste Landeszeitung, die eben keine zwangsgebührenfinanzierte Staatszeitung ist wie der Staatsfunk ORF, in ihrer Freiheit Partei ergreift, steht das sich als eigentlich frei verstehende Österreich Kopf und schimpft, jammert und tobt.

Die Zeitung mache Politik, das gehe doch nicht, das dürfe nicht gehen! Dichand bestimme den Kanzler. Blödes Blöken jener, die der erfolgreichsten Zeitung gegenwärtig nichts entgegensetzen können. Obwohl mit dem Staatsfunk viel gemacht wird. Mit Steuergeld. Mit Elefantenwirtschaft. Klientelpolitik. Unterstützt von zwangsfinanzierten Kammern. Der freien Wirtschaftskammer. Die in aller Freiheit die Zwangsmitgliedschaft braucht fürs Geld.

All das Gezetere impliziert einerseits, dass Politik und Politiker sich selbst autonom bestimmen und, andererseits, ein höherer Einfluss von nicht staatlich kontrollierten Medien unlauter, unfrei sei, weil sie eben frei ihre Macht entfalten. Solch quere Blödheiten sind nur in einem Land möglich, wo der Freiheitsbegriff krank und schwach ist.

Unsere nördlichen Nachbarn leiden an einem ähnlichen Virus. Wir beide haben ja hinsichtlich der Freiheit und Unfreiheit ein ähnlich dunkles Schicksal. Da drückt immer noch ein eigentümliches Autoritätsverständnis durch, das schon längst überwunden sein sollte.

In den USA, sogar in Grossbritannien, ist es "normal", dass Medien Macht nicht nur haben, sondern auch einsetzen. Es wäre auch völlig naiv annehmen zu wollen, dass irgend eine Organisation, insbesondere eine mediale, Macht entwickle, um sie dann nicht einzusetzen. Das gilt für Grossunternehmen der Industrie ebenso, wie für Medien.

Es ist wie in der freien Wirtschaft. Ist sie frei, darf die staatliche Regulierung nicht soweit gehen, dass sie z. B. Preise diktiert oder vorschreibt, mit wem Geschäfte zu machen sind. Der Staat schafft Rahmenbedingungen, die allgemein, und nicht willkürlich gelten. Das gilt für freie Medien ebenso.

Bei uns will man freie Medien als kleine, als solche, die keinen nennenswerten Einfluss haben, die nicht bestimmend auftreten. Dass es zu einer hohen Pressekonzentration kommt, dass Zeitungen einflussreicher werden können als das Fernsehen, dem doch sonst alle mehr zusprechen, ist eine eigene Frage, deren Beantwortung etwas über die Volksbildung sagt und, eben, das herrschende Freiheitsverständnis.

Man kann dem Volk sein Glück nicht zwangsweise einimpfen. Der Boulevard lässt sich in einer freien Medienwelt nicht per Dekret aufheben oder abschaffen. Andererseits sind solche Staaten, wo eine Einheitspartei nur kontrollierte Medien zulässt, nicht frei. Die DDR hatte eine uns ähnliche Medienlandschaft, allerdings staatlich kontrolliert. Es scheint, das wollen viele aufrechte Österreicher, die sich über die Frechheit der Medieneinmischung aufregen. Wie beim Kaiser, wie beim ZK, wird verlangt, dass es nicht geben können solle, was es nicht geben darf.

Politik soll nur von Politikern gemacht werden, die nur vom Souverän souverän gewählt werden. Wann wird der Einfluss von anderen als Einmischung verstanden? Sind Lobbys zu verbieten und Lobbyisten als Beeinflusser Verdreher des "eigentlichen" Volkswillens zu verfolgen wie radikale Tierschützer, die man von Staates wegen (wessen Interessen stecken wirklich dahinter?) als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung "erledigt"?

Wann ist der Einfluss grosser Firmen "politisch"? Wenn es um tausende Arbeitsplätze geht? Wenn sie in der globalen Wirtschaft global agieren, anstatt national oder regional, also dorthin gehen, wo sie profitablere Bedingungen finden? Soll das verboten werden?

Hört man sich das Geplärr wegen der hohen Treibstoffpreise an und das Verlangen nach Preisregulierung, erinnert man sich an die Fünzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. So schaut in Wahrheit die freie Wirtschaft aus: der Staat soll Preise regulieren! Wie denn? Dort, wo das geschah, in den Planwirtschaften, hat es nicht lange funktioniert.

Wie frei war die Politik, als der Rundfunk nicht nur, wie jetzt, zwangsfinanziert war, sondern direkt unter Parteikontrolle stand? Wie frei war die Medienlandschaft, als noch die Zentralorgane der Parteien existierten?

Die Kritik an der Medienpolitik der grössten Zeitung ist im Kern die, dass sie Politik sei, also nicht nur Medienpolitik. Das bedeutet aber, dass die Leser, welche in ihrer Freiheit dieses Produkt kaufen und konsumieren, als zu beeinflussbar gesehen werden. Man spricht ihnen die Mündigkeit ab und will sie vor Schaden bewahren. Eine verächtliche Haltung, die die Frau Aussenminister ebenso auszeichnet wie alle jene, die den Volkswillen nur dann goutieren, wenn er ihnen zuspricht. Betreuungskultur.

Wenn behauptet wird, der Medieneinfluss werde überschätzt, die Menschen seien reif genug selbst zu entscheiden etc., muss der Zorn über die grösste Zeitung und ihre Parteilichkeit andere Hintergründe haben. Etwas passt nicht zusammen. Was ist es?

Wie würden Vertreter der geschrumpften "staatstragenden" Volkspartei reagieren, wenn die grösste freie Volkszeitung sich in den Dienst der geschrumpften Volkspartei stellte oder zumindest unterstützte? Wenn die Instrumentalisierung des Volkswillens seitens der Volkspartei über die Volkszeitung gelänge? Gäbe es überhaupt eine Debatte? Gibt es sie nicht gerade deshalb, weil die andere Volkspartei, die rote, "begünstigt" erscheint und die Volksparteiler meinen, mit den anderen Instrumenten wenig ausrichten zu können? Denn sie kennen ja das Volk, zu dessen Bildung sie seit je bestimmend beigetragen haben.

Es geht auch um Chimären, Täuschungen, Trugbilder. Es geht darum, dass das Bild des "als ob" gestört wird, wenn zu offen frei koaliert wird, anstatt verdeckt, wie bislang. Das kratz am Spiegelbild, das man mühsam gezimmert hat: das des souveränen Souveräns, des gebildeten Elektorats, der mündigen freien Bürger.