Zeichnen und Ondulieren: Johann Heinrich Füssli

Mode – Fetisch – Fantasie. Erkundung und Darstellung von Frauen mit einer geradezu obsessiven Energie, und zwar ausschließlich Frauen. Das Kunsthaus Zürich bietet eine noch nie dagewesene Gelegenheit, den Zeichner Johann Heinrich Füssli (1741–1825) in seiner innovativsten und aufregendsten Form zu erleben: als Autor einer faszinierenden Bilderwelt, die sich ebenso aufreizend wie abgründig ausnimmt. Er war einer der eigenwilligsten Künstler im Europa des 18. Jahrhunderts. Geboren in Zürich, versuchte er als junger Erwachsener in Londons Literaturszene Fuß zu fassen, um dann (wie überliefert) mit dem Vorsatz der „größte Maler“ seiner Zeit zu werden für zehn Jahre in Rom neben der Antike vornehmlich die Werke Michelangelos zu studieren.

Wird man im Kunsthaus nicht fertig mit detailgenauem Schauen und Staunen, aber auch mit dem Lesen der teilweise obskuren Geschichten, bekommt man nun im begleitenden Buch nicht nur einen Ausstellungskatalog in die Hand, sondern eine absolut spannende, weitreichende, tiefgründige Betrachtung des Frauenbilds im 18. Jhd. und über das wenig erforschte zeichnerische Werk Füsslis, dem er sich mit Obsession und großer Beharrlichkeit gewidmet hat. „Diese erotisch aufgeladenen, bisweilen bizarren und aus heutiger Sicht sogar unangemessenen Werke, die nicht selten an das Pornografische grenzen, demonstrieren die hohe zeichnerische Kunstfertigkeit des Künstlers und gewähren gleichzeitig einen noch nie dagewesenen Einblick in seine Psyche“, schreibt Ann Deneester, die neue Direktorin des Kunsthaus Zürich im Vorwort.

Wo man idealisierte Körper in den anmutigen Posen und Proportionen antiker Statuen erwarten würde, begegnen uns stattdessen Frauen, deren Körper durch steife Mieder, Taillenbänder, gerüschte Ärmel und spitze Schuhe definiert und deren Köpfe von Frisuren der komplexesten und bizarrsten Art gekrönt werden. Füssli zeigt nicht die unterwürfigen und erotisierten Akte, sondern seine weiblichen Figuren nehmen eine betont herausfordernde Haltung ein. Selbstbewusst erwidern die Frauen die Blicke der Betrachterinnen und Betrachter oder ignorieren diese.

Die Faszination Füsslis für Frauen mit extravaganten Frisuren kann durchaus als Fetischismus – und dies wird im Buch auch psychoanalytisch abgehandelt – aufgefasst werden. In den Zeichnungen ist üppiges, komplex frisiertes Haar durchgehend ein vitales Element weiblicher Attraktivität. Und es ist auch zu erfahren, dass Füsslis Interesse an Haarpracht nicht nur der weiblichen, sondern seiner eigenen galt, dass diese sehr eigenwillig gewesen sei und jeden Tag mit Puder akkurat hergerichtet wurde; dass er nach dem Frühstück Homer auf Griechisch gelesen habe, während sich sein Friseur an seinem Haar zu schaffen machte.

FÜSSLI Mode – Fetisch – Fantasie
Herausgegeben vom Kunsthaus Zürich,
in Zusammenarbeit mit der Courtauld Gallery, London
Mit Beiträgen von Jonas Beyer, Mechthild Fend, Ketty Gottardo, David H. Solkin
Broschur, 168 S, 145 farbige und 4 sw Abbildungen, 21,5x26cm
Scheidegger & Spiess, © 2023
ISBN 978-3-03942-123-7