Zauber und Hölle - Schnee im Film

20. Dezember 2010 Walter Gasperi
Bildteil

In den Bergen, im hohen Norden und natürlich an Weihnachten. – Schnee ist selbstverständlich in Filmen präsent, die in diesem geographischen oder zeitlichen Umfeld spielen. Aber auch ein Thriller wie "Fargo", ein Horrorfilm wie "Shining" oder Roland Emmerichs Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" werden entscheidend vom Schnee geprägt.

Er verzaubert die Landschaft, verdeckt das Hässliche und taucht alles in unschuldiges Weiß. In der Großstadt freilich verwandelt er sich bald in Matsch. Zivilisation und Schnee passen nicht richtig zusammen, zum Tragen kommt er am ehesten noch im kleinstädtischen oder ländlichen Raum. Hier kann mit Schneefall Weihnachtsstimmung aufkommen wie in Frank Capras "It´s a Wonderful Life" oder es können Erinnerungen an den Zauber einer unbeschwerten Kindheit beschworen werden. Und Sandrine Veyssets erschütterndes Frauen- und Kinderdrama "Gibt es zu Weihnachten Schnee?" (1996) geht in die gleiche Richtung, verbirgt sich doch hinter der titelgebenden Frage die Hoffnung auf und der Traum von einem bisschen Glück. Und in Orson Welles´ Meisterwerk "Citizen Kane" (1940) ist das ganze Glück des Lebens des Medienzars, und das, was er verloren hat, gebündelt in einer Kristallkugel, in der lautlos Schnee fällt, und der damit verbundenen Erinnerung an eine Schlittenfahrt, von der er als Junge brutal fortgerissen wurde.

Wirklich einprägsam wird Schnee im Film aber, wenn er die Leinwand dominiert, das Bild auf eine weiße Fläche reduziert wird, in der sich die Menschen verlieren. Hier kann sich ein Ballett der anderen Art entwickeln, wenn Skifahrer in Filmen wie "Der weiße Rausch" (Arnold Fanck, 1931) in frisch verschneite Pulverhänge ihre Spuren legen. Verschärft wird dieses Szenario, wenn man nicht mehr zum Spaß den Hang hinunter gleitet, sondern auf Skiern Verfolgern zu entkommen sucht. In mehreren Bond-Filmen ("On Her Majesty"s Secret Service -Im Geheimdienst ihrer Majestät", Peter Hunt, 1969; "For Your Eyes Only" - "In tödlicher Mission", John Glen, 1981) finden sich solche spektakulären Jagden. Stets neue Hindernisse wie Gletscherspalten, Felsen oder Bäume, aber auch sich eröffnende Fluchtmöglichkeiten oder Verstecke bieten hier Abwechslung.

Doch gleichzeitig kann diese Landschaft, die der Mensch zum Vergnügen aufsucht, zur Todeszone werden, wenn beispielsweise das Wetter plötzlich umschlägt. Von der verheerenden Kraft des Schnees, von der jedes Leben zum Absterben bringenden Kälte erzählen Bergfilme von Arnold Fancks und Georg Wilhelm Pabsts "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929) bis hin zu "Vertical Limit" (Martin Campbell, 2000), "Nanga Parbat" (Joseph Vilsmaier, 2010) und "Nordwand" (Philipp Stölzl, 2008). In letzterem bringt Philipp Stölzl mit Sounddesign und hautnah geführter Kamera die eisigen Winde und das Toben des Sturms förmlich in den Kinosaal und macht ihn zum Gefrierschrank.

Von den Entbehrungen, die das winterliche Klima darstellen, erzählen auch speziell in Russland spielende Kriegsfilme von "Hunde wollt ihr ewig leben" (Frank Wisbar, 1959) bis "Soweit die Füße tragen" (Hardy Martins, 2001). Nahrungsmangel in der Eiswüste, Kälte und das Mühsal der Fortbewegung, sind hier ebenso Thema wie beispielsweise in Chaplins ganz anders gelagertem "Goldrausch" (Charlie Chaplin, 1925). Eingängig sind diese Filme und ihre Bilder weitgehend auf die endlose Schneelandschaft reduziert sind und sich vor diesem weißen Umfeld eine schwarze Hütte besonders markant und einprägsam abhebt.

Hat in diesen Filmen Abenteuerlust, Goldgier oder der Krieg Menschen in diese lebensfeindliche Umwelt gebracht, so erzählte Robert Flaherty schon 1922 in seinem Inuit-Film "Nanook of the North" vom alltäglichen Leben in arktischen Regionen. In diese Welt entführt auch Zacharias Kunuk, der in "Atanarjuat – Die Legende vom schnellen Läufer" (2001) ethnographische Schilderung des Lebens der Inuit und ihrer Bräuche mit eine Inuit-Legende um einen erbitterten Bruder-Konflikt verknüpft.

Im Gegensatz zu dieser realistischen Schilderung einer Lebenswelt, hat in Ang Lees "The Ice Storm" (1997) die Eiseskälte eine metaphorische Funktion. Im Eis spiegeln sich bei Lee die Gefühlskälte, die die Beziehungen zwischen den Paaren, aber auch zwischen Eltern und Kindern im USA der frühen 1970er Jahre kennzeichnet. Ähnliche Funktion haben Schnee und Eis auch in Courtney Hunts "Frozen River" (2008), in dem das winterliche Klima die Tristesse und die emotionale Kälte im Umfeld einer allein erziehenden Mutter noch verstärkt.

Wenn die Coens wiederum ihren Film noir "Fargo" (1996) im verschneiten Mittelwesten der USA spielen lassen, geht es ihnen wohl vor allem darum mit genretypischen Elementen zu spielen: Schnee und Provinz bringen doch wieder etwas Neues in ein Genre, mit dem man zunächst immer verregnete nächtliche Städte assoziiert werden. Ähnliches hatte wohl Sam Raimi im Sinn, in dessen "A Simple Plan" (1998) ein scheinbar einfacher Diebstahl bald blutige Kreise zieht. Schnee wird dabei auch genutzt um Spuren zu verwischen, wirkt aber auch visuell stark. Maßstäbe in dieser Beziehung hat Stanley Kubrick gesetzt, der in "Shining" (1980) eine Familie in einem Hotel in einer abgelegenen Bergregion isoliert.

Als großer Mahner vor dem Klimawandel tritt dagegen Roland Emmerich mit seinem Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" (2004) auf, wenn er ganz New York in eine Eiswüste verwandelt.

In Mengen eine lebensfeindliche Hölle, in kleiner Dosis ein Element, das verzaubern und verwundern kann – das ist wohl die Quintessenz der Rolle von Schnee im Film ebenso wie in der Realität. Und kaum einmal hat man diese Verwunderung und Verzauberung, die ein zugefrorener See und ein frisch verschneiter Park bei einen damit nicht Vertrauten auslösen können, schöner und einprägsamer erlebt als in Peter Jacksons "King Kong": Da darf der Riesenaffe aus der Südsee im New Yorker Central Park über einen vereisten See schlittern und vor dem großen Show-Down eine kurze Romanze erleben.