Wir sind alle Astronauten

Zeitgleich zu der von Lord Norman Foster und Luis Fernández-Galiano kuratierten historisch ausgerichteten Ausstellung zum Werk von Richard Buckminster Fuller richtet das Marta Herford mit der Ausstellung "Wir sind alle Astronauten – Universum Richard Buckminster Fuller" den Blick auf eine Gruppe zeitgenössischer Künstler, die vor allem in jüngster Zeit die Visionen der späten Nachkriegsmoderne wieder aufgreifen und verarbeiten bzw. aktualisieren. Diese Generation zumeist jüngerer Künstler, sucht offensiv nach Anknüpfungspunkten an ein visionäres Denken, das mit dem Pragmatismus der letzten Jahrzehnte verloren gegangen zu sein scheint.

Zentraler Gedanke der Ausstellung ist es, der historischen Überblicksschau zu dem Werk von Buckminster Fuller Projekte, Installationen, Zeichnungen, Filme und Skulpturen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern an die Seite zu stellen. Die beteiligten Künstler werden eingeladen, Beiträge für dieses besondere Ausstellungsprojekt zu entwickeln, wobei die Auswahl der Künstler darauf angelegt ist, dass ein herausforderndes und facettenreiches Netzwerk der gegenseitigen Bezüge zwischen kommentierender, weiterentwickelnder oder auch ironisch kritischer Kommentierung entsteht.

Dabei rücken nicht nur Künstlerinnen und Künstler in den Mittelpunkt, die an gesellschaftlicharchitektonischen Visionen interessiert sind, sondern auch solche, die eher naturwissenschaftlichphysikalische Fragestellungen verfolgen, wie etwa Olafur Eliasson (*1967), Tobias Putrih (*1972) oder Tomás Saraceno (*1973).

Olafur Eliasson greift in seinen Arbeiten immer wieder Ideen Fullers auf und bedient sich bei der Entwicklung seiner Werke, ganz in dessen Tradition kolla-borativer Arbeitsformen unter Einbeziehung von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Besonders anschaulich wird seine Fuller-Rezeption im Model Room von 2003, der in Zusammenarbeit mit dem Architekten Einar Thorstein entstand. In den kleinteiligen Skulpturen, die seinen Raum bevölkern, bezieht sich Eliasson auf die vielfältigen geometrischen Modelle, die Fuller seit den späten 1940er Jahren entwickelt hat. Auch der Blind Pavilion von 2003, ursprünglich entworfen für den Dänischen Pavillon auf der Biennale di Venezia und heute auf der Insel Videy, wenige Kilometer vom Reykjavíker Hafen entfernt installiert, verdankt seine Gestalt nicht zuletzt Fullers Ideen.

Auch Tomás Saracenos Airport Cities, schwebende Raumkörper in Ballonform, sind ganz wesentlich von Fullers Ideen inspiriert. Dessen Cloud Nine-Projekt gab den entscheidenden Impuls für die Entwicklung der Airport Cities, fliegenden, frei flottierenden urbanen Entitäten, die sich jedweder nationaler Zuordnung entziehen. Sie sollen als Modell für eine zukünftige, supranationale und auf gegenseitige Hilfe basierende Welt dienen.

Wesentlich skeptischer fällt die Reflexion von Fullers Ideen im Werk von Tobias Putrih aus. Auch er bezieht sich mit QR Reshaping von 2003 auf Cloud Nine, führt dazu allerdings aus: "Diese schwebenden Strukturen können nur Dank konstanter Bedingungen im Innern, etwa durch die rigide Kontrolle von Gewicht, Stoffwechsel und Fortpflanzung in der Luft gehalten werden. Mir fällt es daher schwer, Fullers Cloud Nine-Projekt anders als im Sinne der ultimativen totalitären Organisationsform zu denken: Individuelle Körper haben hier aufgehört zu existieren. Die Stadt wird zu einem einzigen sozialen Organismus. Das utopische Moment des amerikanischen Traums findet damit seinen Abschluss in der sinnlosen, farblosen Fiktion der schwebenden Stadt."

Eine vergleichbar skeptische Rezeption von Fullers Ideen findet sich immer wieder in den Statements und Werken jüngerer Künstler. Dennoch überwiegt die Wertschätzung von Fullers experimentellem Ansatz. Künstler wie Björn Dahlem, José Dávila, Kai Schiemenz, Riccardo Previdi oder David Maljković, die sich bereits seit einigen Jahren mit den visionären Aspekten der Moderne auseinandersetzen, bedienen sich trotz aller Vorbehalte gegenüber den utopischen Aspekten in Buckminster Fullers Werk seiner Ideen und Strukturen.

KünstlerInnen: Atilla Csörgő, Björn Dahlem, José Dávila, Simon Dybbroe Møller, Franka Hörnschemeyer, Lucas Lenglet, David Maljković, Hermann Meier Neustadt, Riccardo Previdi, Tobias Putrih, Pedro Reyes, Tomás Saraceno, Albrecht Schäfer, Kai Schiemenz, Ai Wei Wei, Tilman Wendland u. a.

Wir sind alle Astronauten
11. Juni bis 18. September 2011