Amerikanische Städte sind auf meine übliche Art nicht wirklich gut zu erkunden. Ein Nachmittag in Denver hätte ausgereicht. Wie den ganzen nächsten Tag bis zur Abfahrt des Greyhounds nach Colorado Springs um acht Uhr abends verbringen? Ein Ticket für das Denver Art Museum war zwar gesichert, und dass der Neubauteil von Daniel Libeskind ist, wusste ich, dass ich jedoch fünf Stunden brauchen würde, um einigermaßen alles zu sehen, zu erleben, war nicht absehbar.
Ich trödelte, also kam mir die am Weg liegende Villa der Margaret Brown gerade recht. Als Überlebende (The Unsinkable Molly Brown) des Untergangs der Titanic berühmt, war sie vor allem eine große US-amerikanische Frauenrechtsaktivistin. Ein paar hundert Schritte weiter sieht man schon von Ferne die scharfkantig aufragende Spitze als Hinweispfeil auf das monumentale, doch fein in Baukörper wie Fassade gegliederte, grau schimmernde, siebengeschossige, 1971 eröffnete Denver Art Museum, geplant vom Mailänder Architekt Gio Ponti.
Daniel Libeskind verneigt sich vor der Ästhetik dieses eindrucksvollen Bauwerks. Seine Antwort darauf ist aber kühn und durchaus typisch für den amerikanischen Architekten. Die majestätische Kulisse der Rocky Mountains mit den Gipfeln und Tälern seien für Libeskind inspirierend gewesen ... sei´s drum, ich brauch solche Bilder zur Vermittlung nicht. Viel spannender ist es, über die hochkomplizierte Stahltragwerkskonstruktion zu erfahren: von den zwanzig verschieden geneigten Flächen ist keine einzige parallel oder senkrecht zur anderen, als innovatives Fassadenplattenmaterial wurde Titan verwendet (9.000 Stück!).
Interessant, auch die Vorgeschichte: Nach einer Volksabstimmung über die Anhebung der kommunalen Steuern konnte die Finanzierung des notwendig gewordenen Museumanbaus zu zwei Dritteln (62,5 Mio $) gesichert werden, den Rest übernahmen private Spender. In der letzten Runde des Wettbewerbsverfahrens blieben drei Architekten übrig (die weiteren: Arata Isozaki, Tokio; Thom Mayne, Santa Monica), deren Projektpräsentationen im Fernsehen übertragen wurden. Daniel Libeskind überzeugte schlussendlich mit seinem Enthusiasmus und natürlich mit Erfahrung ... das ist doch wirkliche Bürgerbeteiligung!
Man betritt das Museum nun über das neue Hamilton Building. Auch im Inneren wird das Spektakel nicht gemieden, aber alles macht Sinn. Faszinierend wirkt die Raumskulptur, erlebbar vom Foyer bis zur befensterten Spitze, verschneidende Treppenwege verwinkeln sich in der Horizontalen wie der Vertikalen, und trotzdem ein schlüssiges Ganzes. Vielschichtigkeit und Unvorhersehbares in zeitgenössischer Kunst bekommen hier einen architektonischen Erlebnisraum. Schräge Wände regen an, die lotrechten noch besser zu inszenieren. Kein Scheitern der Kuratoren, weil wie bei der Landesgalerie Niederösterreich (Marte.Marte Architekten) die Winkel so plakativ zweidimensional bleiben, sondern Inspiration mit dem Raum experimentelle Wege der Kunstpräsentation zu entwickeln.
Mir wurde schlussendlich wieder einmal freundlich zur Museumssperrstunde der Ausgang gewiesen. Dass sich die Abfahrt des Greyhounds zwei(!) Stunden verspätete ist eine andere Geschichte. Der beeindruckte Nachklang ließ die Wartezeit trotzdem schnell vergehen.
Denver Art Museum / Hamilton Building
Architekt: Daniel Liebeskind
Fläche: 13.564 m2
Erbaut: 2003 – 2006