Willkommene Kunst?

Als Vorbereitung für die Ausstellung "Willkommene Kunst?" befasst das Völkerkundemuseum der Universität Zürich mit einem speziellen Kapitel der Museumsgeschichte: Es handelt sich dabei um das Sammeln und Ausstellen "zeitgenössischer Kunst im traditionellen oder akademischen Stil" aus der sogenannten Dritten und Vierten Welt. Wie es zu dieser Sammel- und Ausstellungstätigkeit kam, die 1964 ihren Anfang nahm und in den 80er und 90er Jahren ein Schwerpunkt im Völkerkundemuseum war, wird in der Ausstellungspublikation mit einer Retrospektive auf mehr als vier Jahrzehnte Museumsgeschichte skizziert.

Schon damals war selbstverständlich bewusst, dass in der besagten Periode weltweit auch in andern völkerkundlichen Museen eine Auseinandersetzung stattfand, inwieweit aussereuropäisches Kunstschaffen wahrzunehmen und in die Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit der Museen einzubauen sei. Bis anhin erachtete man als Hauptaufgabe der völkerkundlichen Museen das Sammeln von Artefakten von Völkern, die mehrheitlich in Kolonialgebieten lebten. Das Sammlungsgut wurde grosszügig als traditionell eingestuft und sollte die Lebensweise der Völker vor dem Kontakt mit dem"Weissen Manne" repräsentieren. Seit dieser Zeit diskutiert die Fachwelt darüber, was denn "traditionell" bedeute und ob sich eine "ursprüngliche" Lebensweise rekonstruieren lasse.

Die Entkolonialisierung nach dem 2. Weltkrieg löste langsam, aber stetig einen Paradigmenwechsel aus, der Fokus wanderte von der Vergangenheit zur Gegenwart: Die aktuelle soziale, wirtschaftliche und politische Situation der Völker in der Dritten und Vierten Welt wurde zum Gegenstand der Ethnologie und mit Verzögerung der ethnologischen Museen. Dabei wurde festgestellt, dass sich in den ehemaligen Kolonien ein neues Kulturgut entwickelte – aussereuropäische, nicht-westliche Kunstwerke –, das einzuordnen ausserordentlich Mühe bereitete und eine anhaltende Kontroverse auslöste. Dennoch begannen damals einzelne völkerkundliche Museen sich mit diesem Kulturgut zu befassen, es zu sammeln und auszustellen; dazu gehört auch das Zürcher Museum.

Und nun, nach über zwanzig Jahren, interessiert es nochmals, wie in andern deutschsprachigen völkerkundlichen Museen diese Sammlungs- und Ausstellungsthematik behandelt wurde und wie diese heute damit umgehen. Eine kleine Umfrage unter zwölf Museen lieferte einen Überblick über die nach wie vor spannenden, aber immer noch aktuellen Fragen. Die Umfrage hat gezeigt, dass eine intra- und eine intermuseale Diskussion – zusammen auch mit Kunstmuseen – eine lohnenswerte Aufgabe bleibt. Es stellt sich leider immer noch die Frage, ob insbesondere nicht traditionsbezogene Kunst, also vor allem akademische, moderne Kunst in Völkerkundemuseen und erst recht in Kunstmuseen willkommen ist.

In der Retrospektive erweist sich, dass das Völkerkundemuseum der Universität Zürich bei dieser Thematik eine aktive Rolle gespielt hat, insbesondere in den 1980er und 90er Jahren. Es hat sich entschieden, nicht nochmals Kunstwerke zu zeigen, die schon vor über zwanzig Jahren präsentiert wurden, sondern drei kleinere museumseigene Sammlungen, die hier erstmals ausgestellt werden. Es handelt sich dabei um sehr frühe Drucke der kanadischen Inuit aus Cape Dorset und Povungnituk vom Beginn der 1960er Jahre, um Drucke von Cree- und Ojibwa-Künstlern der sogenannten "Woodland Indian School of Art" aus den 1970er Jahren sowie um Drucke des äthiopischen Künstlers Falaka Armide Yimer von 1970-72. Die Inuit- und Waldland-Künstlerinnen und -Künstler sind Autodidakten und können als traditionsbezogen bezeichnet werden, während der äthiopische Künstler eine akademische Ausbildung genoss und sich als internationaler Künstler versteht.

Willkommene Kunst?
Druckgrafiken aus Kanada und Äthiopien
19. November 2010 bis 26. Februar 2012