Which Side Are You On? – Der britische Sozialrealist Ken Loach

27. Januar 2014 Walter Gasperi
Bildteil

Ken Loach ist der Klassiker und Inbegriff des sozialkritischen britischen Kinos. Seit beinahe 50 Jahren setzt sich dieser - nach eigener Definition - "antistalinistische Linke" in seinen Filmen mit der Situation der britischen Arbeiterschaft auseinander. Bei der heurigen Berlinale erhält der 77-Jährige einen Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk, das Filmpodium Zürich widmet im derzeit eine Retrospektive.

Unparteiisch und objektiv ist Loach in seinen Filmen nie. Entschieden und leidenschaftlich ergreift er Partei für die Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. - Sozial engagiert ist sein Kino, besitzt aber gleichzeitig auch beträchtlichen Unterhaltungswert.

Ken Loach wurde 1936 als Sohn eines Elektrikers in der Nähe von Coventry geboren. Bis heute blieb er sich seiner Herkunft aus der Arbeiterklasse bewusst, die Auseinandersetzung mit der Lebenswelt des Proletariats bestimmt sein Lebenswerk. Schon während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Oxford fand er Zugang zum Theater, ehe er in den 60er Jahren zur BBC wechselte und sich mit Fernsehspielen, in denen die stilistischen Unterschiede zwischen Fiktion und Bericht bis zur Unkenntlichkeit verwischt wurden, einen Namen verschaffte.

Geprägt und beeinflusst wurde Loach in seiner Arbeitsweise sowohl vom italienischen Neorealismus als auch von den dokumentarischen Darstellungsweisen des Cinéma Vérité und des um 1960 nur kurz aufblühenden britischen Arbeiterkinos, des sogenannten Free Cinema.

Als sein bedeutendstes und einflussreichstes Werk aus dieser Periode gilt "Cathy come home" (1966). Die Geschichte einer jungen Londoner Arbeiterfamilie, die durch einen Unfall des Mannes zunehmend verarmt, die Wohnung verliert und schließlich getrennt wird, löste eine heftige öffentliche Diskussion über Armut in England aus und war sogar Anlass für eine Parlamentsdebatte.

"Cathy come home" gilt als der erste Film, der nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich das Loach-Programm in ganzer Fülle enthält: Mit den Mitteln des Dokumentarfilms versucht Loach ein Höchstmaß an Authentizität und Unmittelbarkeit zu erzielen. Gedreht wird an Originalschauplätzen, Laienschauspieler werden Profis vorgezogen, für das Drehbuch wird wenn möglich auf Autoren zurückgegriffen, die mit dem Milieu vertraut sind, und die Dialoge werden vielfach improvisiert. Damit sich die Schauspieler besser in ihre Figuren hineinversetzen können und die Geschichte so erfahren, wie sie sich entwickelt, erhalten sie das Skript nur Stück für Stück, sodass sie nicht wissen, was passiert, und gedreht wird folglich streng chronologisch.

Typisch für Loach ist auch die Verknüpfung von Privatem mit Öffentlichem. An kleinen persönlichen Geschichten macht er allgemeine Missstände und soziales Unrecht sichtbar. Seine Filme sind politisch, aber nicht die Politik, sondern die Menschen stehen im Mittelpunkt.

"Which Side Are You On?" ist der Titel seines Dokumentarfilms über den britischen Bergarbeiterstreik von 1984, aber für den 77-Jährigen selbst stellt sich diese Frage nie. Entschiedene Parteinahme für die Underdogs, für die Verlierer der englischen Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten 30 Jahre und ein daraus resultierender propagandistisch-aufklärerischer Impetus bestimmen Loachs Werk.

Rhetorik und den erhobenen moralischen Zeigefinger vermeidet der Brite dabei meistens, er zieht den Zuschauer vielmehr mit schnörkellos und klar erzählten Geschichten, mit starken Figuren, scharfer Beobachtungsgabe und prägnanten Szenen auf die Seite der geschlagenen Helden.

Von seinen vielbeachteten Fernsehspielen in den 60er Jahren bis zum Durchbruch im Kino war der Weg allerdings weit. Nur wenige Kinofilme wie das Jugenddrama "Kes" (1969) oder die Studie einer schizophrenen jungen Frau in "Family Life" (1971) konnte Ken Loach, der nie bereit war Kompromisse einzugehen, in den 1970er und 1980er drehen. Sendeverbote und Zensurmaßnahmen erschwerten in der Thatcher-Ära für den bekennenden Trotzkisten die Arbeit. Erst seit dem Erfolg von "Riff-Raff", der 1991 mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, ist es ihm möglich beinahe jährlich einen neuen Spielfilm zu realisieren.

Themen aus dem britischen Alltag heraus, wie die Ausbeutung von Bauarbeitern in "Riff-Raff" oder die katastrophalen Folgen der Privatisierung von British Rail für die Bahnarbeiter ("The Navigators", 2001) wechseln dabei mit historischen Themen, in denen Loach aber immer seine sozialistische Gesinnung klar zu Tage legt und faule Kompromisse verurteilt. Vom nicaraguanischen Bürgerkrieg ("Carla´s Song", 1996) über den spanischen ("Land and Freedom", 1994) bis zum irischen Unabhängigkeitskrieg "The Wind That Shakes the Barley" (2006), für den er 2006 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, spannt sich hier der Bogen.

Privater und stärker auf eine Hauptperson fokussiert sind die Filme der so genannten "Glasgow-Trilogie". Steht im mittleren Teil "Sweet Sixteen" (2002) der 16jährige Liam und sein Traum von einer heilen Familie im Zentrum, so dreht sich "My Name is Joe"(1998) um einen von Peter Mullan herausragend gespielten arbeitslosen Alkoholiker. Das proletarische Milieu verlässt Loach dann sogar in der multikulturellen Liebesgeschichte "Just a Kiss" (2004), die ein direkter Reflex auf die Ereignisse vom 11. September 2001 ist.

Endet dieser Film versöhnlich und fast mit einem Happy-End, so durchziehen "It´s a Free World" (2007) wieder schwärzere Töne. Denn die zunächst ausgebeutete Leiharbeiterin wird hier selbst zur Unternehmerin und beutet nun ihrerseits billige illegale Migranten aus. – Immer noch ist die Frage "Which Side Are You On?", aber die Grenzen zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern sind längst nicht mehr so klar.

Mit dem Alter scheint der Brite aber zunehmend gelöster zu werden. Ganz auf der Seite der vom Leben und den gesellschaftlichen Verhältnissen geschlagenen Underdogs steht Loach zwar auch in "Looking for Eric" (2009) und "An Angel´s Share" (2012), doch die Bitterkeit wird hier durch viel Humor aufgelockert und stärker als in früheren Filmen leuchtet die - vielleicht auch etwas märchenhafte - Hoffnung auf, dass sich mit Solidarität und Durchhaltevermögen auch in schwierigen Lebenssituationen ein Ausweg findet.

"My Name is Ken" - Dokumentation über Ken Loach