Wer braucht G-5?

25. November 2019 Kurt Bracharz
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In der zunehmend emotionalisierten Debatte über die landesweite Installation von G-5 wirft so gut wie nie jemand die einfachste und nächstliegende Frage auf: Wer braucht denn diesen geplanten neuen Mobilstandard (oder glaubt ihn zu brauchen) und wofür eigentlich? G-5 ist, prinzipiell gesehen, nichts mehr als eine weitere, massive Beschleunigung des Internets (mit vielen Nachteilen, z. B. mit der Energieversorgung). Wer will das?

Der für unsere Geographie nächstliegende Grund ist wahrscheinlich, dass die Deutschen neuerdings bemerkt haben, dass sie zu den Schlusslichtern der Digitalisierung in Europa gehören (Vergleiche mit den Verhältnissen in China, Südkorea oder den USA wären lächerlich). Dank der endlosen und kontraproduktiven Sparmaßnahmen im Gefolge des schwäbischen Narren Schäuble ist die deutsche Infrastruktur brüchig geworden – also nicht nur das Straßennetz. Im deutschen Osten gibt es nicht nur keine moderne Digitalisierungstechnik, sondern sogar noch große Funklöcher – anderswo längst ein Kuriosum. Die Deutschen wissen nicht einmal, an welchen und wie vielen von ihren Schulen WLAN angeboten wird, und Schleswig-Holstein gab 2016 bekannt, dass nur knapp 30 Prozent der Schulen einen „ausreichend schnellen Internetanschluss“ habe, 2017 erklärten nur sechs Prozent der niedersächsischen Schulen, dass bei ihnen die Verbindungsstärke für alle Klassen ausreiche, um ins Netz zu gehen.

Dazu dann die täglichen digitalen Tatarennachrichten aus China. Alibaba mit seiner halben Milliarde User machte an seinem Singles Day (der Parallele zu Amazons Prime Day) 2017 in den ersten zwei Minuten einen Umsatz von einer Milliarde Dollar (am Tagesende 25 Milliarden). Amazon hat zur selben Zeit für eine lumpige Milliarde den ganzen Tag gebraucht.

Da möchte man in Europa natürlich auch gerne mitmischen. Es gibt sinnvolle Anwendungen für ein beschleunigtes Netz. Die in einer seriösen Zeitung abgedruckte Analyse eines großen Speditionskonzerns zeigte, dass die automatische Logistik incl. Beladungen etc. auf dem Firmengelände durch G-5-Steuerung sehr viel effektiver wäre als die derzeitige Lösung mit Fahrern usw. Aber wer hindert diesen Konzern, sich firmengeländeweit sein eigenes G-5-WLAN aufzubauen und zu nutzen? Warum soll Deutschland deshalb flächendeckend mit tausenden Sendemasten überzogen werden?

Ich gehe einmal von der Annahme aus, dass Sie und ich „normale“ Internetnutzer sind, für alle jenen Funktionen, die man täglich braucht (oder mittlerweile zu brauchen glaubt). Gut, ich kaufe mir von Zeit zu Zeit den neuesten Computer (den, bei dem nach den zahllosen ungebetenen Updates die alten Programme nicht mehr funktionieren). Wenn Sie ein ähnliches oder gleiches Gerät haben: Wann und wobei war Ihnen zuletzt das Internet zu langsam? (Wenn Webseiten sehr lange zum Aufbau brauchen, liegt das an ihrer schlechten Konstruktion und nicht an der Verbindung.) Ich erinnere mich an kein einziges Beispiel, streame allerdings weder Spiele noch Unterhaltungssoftware. Das sind die beiden Branchen, die unbedingt schneller werden müssen, aber bei diesen beiden würde ich sagen, sie sollen selber schauen, wo sie bleiben. Um irgendwelchen Serienmüll schneller sehen zu können (neuerdings kann man ihn ja sogar beschleunigen, wenn er einen langweilt)– also dafür brauchen wir echt kein G-5. Und wenn wir keine Militärs sind, keine Nachrichtendienstler, keine Darknetz-Nutzer etc. – wofür dann?