"We Can´t Go Home Again" - Zum 100. Geburtstag von Nicholas Ray

1949 begann Nicholas Ray seine Regielaufbahn mit dem Film noir "They Live by Night", nur 14 Jahre später endete sie mit dem Flop von "55 Days at Peking" – und dazwischen entstanden Meisterwerke wie "Rebel Without a Cause" und "Johnny Guitar". In seiner amerikanischen Heimat wurden Rays Filme kaum beachtet, doch die jungen französischen Kritiker Truffaut, Godard und Rivette hoben ihn sogleich in den Olymp der Filmregisseure. Anlässlich seines 100. Geburtstags am 7. August widmen nicht nur die Filmfestspiele von Venedig, sondern auch das Filmpodium Zürich Ray eine Retrospektive.

Begeistert reagierten Truffaut, Godard und Rivette, als sie in den 50er Jahren die Filme Rays entdeckten. Einen echten "Autor" sahen sie in ihm, keinen Handwerker, sondern einen Regisseur, der mit persönlicher Leidenschaft inszeniert und dessen Persönlichkeit in seine Filme einfließt. Äußerlich mögen die Filme dabei noch so verschieden sein, so verbindet sie dennoch eine eigene Sicht der Welt und wiederkehrende Themen.

"We Can´t Go Home Again" titelte er sein 1973 nach fast zehnjähriger Pause gedrehtes und nie abgeschlossenes verdecktes Selbstporträt. Die vergebliche Suche nach Heimat und einem Ort der Ruhe, die hier schon im Titel zum Ausdruck kommt, zieht sich durch viele seiner Filme. Unruhig, rastlos und zerrissen ist nicht nur der junge Jim Stark in "Rebel Without a Cause" (1955), mit dessen Verkörperung James Dean zum Jugendidol wurde, sondern auch der von Sterling Hayden gespielte Johnny Guitar im gleichnamigen Western (1954).

Sein einstiges Zuhause sucht auch Robert Mitchum in der wunderbaren Eröffnungszene von "The Lusty Men" (1952) auf, in der Ray mit seltener Brillanz mit Überblendungen spürbar macht, wie Zeit vergeht. Doch die Farm der Familie ist längst verkauft, und so bleibt Mitchum nichts anderes übrig als weiterhin als Rodeo-Reiter durch die Lande zu ziehen.

Nicht zur Ruhe kam – und keine Chance auf Glück hatte - aber auch schon der junge Protagonist von Rays Debüt "They Live by Night" (1949), das als Vorbild für Arthur Penns "Bonnie and Clyde" (1967) gilt und von Robert Altman unter dem Titel "Thieves Like Us" 1974 neu verfilmt wurde: Unschuldig wegen Mordes verurteilt, bricht Bowie in diesem Film noir mit zwei Gangstern aus dem Gefängnis aus, lernt eine Frau kennen und heiratet, doch die Gangster bedrängen ihn, sie bei einem Überfall zu unterstützen.

Das Rebellische, das am Rand der Gesellschaft Stehen ist grundiert ins Rays Leben. Geboren als Raymond Nicholas Kienzle am 7. August 1911 in Galesville, Wisconsin fiel der Sohn eines Bauunternehmers während seiner Highschool-Zeit durch sein rebellisches Verhalten auf und musste zweimal die Schule wechseln. Dennoch schaffte er den Sprung auf die Universität von Chicago, studierte zunächst Theaterwissenschaften, dann Architektur, wobei er in den Kreis um Frank Lloyd Wright kam.

Bald zog er aber weiter nach New York, schloss sich dem politisch links orientierten, avantgardistischen Theater "Worker´s Lab" an und arbeitete als Schauspieler und Regisseur mit Martin Ritt, Joseph Losey und Elia Kazan, in dem er einen Mentor fand.

Wie kaum ein zweiter verstand es Ray Farbe und das neue Cinemascope-Format dramaturgisch zu nützen. Unvergesslich ist James Deans roter Blouson oder der rote und blaue Socke des sterbenden jungen Plato in "Rebel Without a Cause" und denkwürdig die Nutzung der ganzen Leinwand beim legendären Todesrennen. Keine Angst kennt Ray dabei vor stilistischen und inhaltlichen Brüchen, steigert sich in seinem Furor, der mitreißt, auch zu irrealen Szenen: Wie in "Johnny Guitar" Joan Crawfords weißes Kleid Feuer fängt, während sie im dunklen Saloon am schwarzen Klavier sitzt, ist so ein einzigartiger Kinomoment.

Wie seine Figuren blieb der überzeugte Linke, der in "Johnny Guitar" verpackt in einen Western auch mit der Kommunistenjagd McCarthys abrechnete, in Hollywood ein Außenseiter. Schon in "In a Lonely Place" (1950) nützte er eine pessimistische Krimigeschichte zur bitteren Abrechnung mit Hollywood. In "Bigger than Life" (1956) schildert er eindringlich den erstickenden Konformismus der 50er Jahre, mit "Bitter Victory" (1957) drehte er einen Anti-Kriegsfilm, über den Godard in einer begeisterten Kritik schrieb: "Es ist gleichzeitig der direkteste und zurückhaltendste Film, der feinste und der gröbste. Das ist nicht Kino, das ist besser als Kino."

Gab es in den 50er Jahren für diesen Unangepassten noch eine Nische, sodass er rund 20 Filme drehen konnte, so erhielt er nach dem Flop der Großproduktion "55 Days at Peking" (1963) und dem Niedergang Hollywoods keinen Auftrag mehr. Erst 1973 meldete sich dieser "cinéaste maudit" mit "We Can´t Go Home Again" zurück. Nochmals setzte sich Ray mit Entwurzelung und der Utopie der Heimat auseinander, rebellierte aber gleichzeitig durch die experimentelle Form (z.B.: Einsatz unterschiedlicher Filmformate) auch gegen Hollywood.

Unübersehbar geprägt hat Ray mit seinen Filmen auch Wim Wenders, der nicht nur in "Im Lauf der Zeit" (1976) die Eröffnungsszene von "The Lusty Men" zitierte, sondern mit "Nicks Movie – Lightning Over Water" (1980) auch einen bewegenden, nie voyeuristischen Dokumentarfilm über das Sterben Rays, der am 19. Juni 1979 den Kampf gegen den Krebs verlor, drehte.

Originaltrailer von "Rebel Without a Cause" (1955)