Von "Lili Marleen" bis "Berlin Alexanderplatz"

3. Januar 2008
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Nur 37 Jahre alt war Rainer Werner Fassbinder, als er am 31. Mai 1982 starb, doch mit den über 40 Kino- und Fernsehfilmen, die er zwischen 1969 und 1982 drehte, wurde er nicht nur zur zentralen Figur des "Neuen Deutschen Films", sondern hinterließ auch ein umfangreicheres Werk als viele seiner bis ins hohe Alter filmenden Kollegen. Als sein Opus magnum muss freilich die über 15 stündige Alfred Döblin-Verfilmung "Berlin Alexanderplatz" gelten, deren Schweizer Kinopremiere das Stadtkino Basel zum Anlass für eine Werkschau nimmt.

"Schlafen kann ich, wenn ich tot bin" war sein Wahlspruch und die Folge dieser Einstellung war eine letztlich selbstzerstörerische Produktivität. Noch bevor der eine Film abgeschlossen war, stürzte sich Rainer Werner Fassbinder schon in neue Projekte und kam nie zur Ruhe. Ein Autorenfilmer klassischen Zuschnitts war der 1945 im bayrischen Bad Wörishofen geborene Autodidakt, führte nicht nur Regie, sondern schrieb auch die Drehbücher zu seinen Filmen, sorgte mitunter sogar für Ausstattung, Kamera und Schnitt und trat regelmäßig auch als Schauspieler – und nicht nur in seinen eigenen Filmen – auf.

Wie kein zweiter deutscher Filmemacher hat er sich in seinen Filmen mit der Geschichte und der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation seines Heimatlandes auseinandergesetzt. Entfremdung, Verlust der Identität und emotionale Kälte in der modernen Konsumgesellschaft sind seine zentralen Themen. – Aussagekräftig ist hier schon der Titel seines ersten langen Spielfilms: "Liebe ist kälter als der Tod" (1969).

Melodramen sind das vielfach und die aus Ungarn beziehungsweise Deutschland in die USA emigrierten Michael Curtiz und Douglas Sirk wurden zu seinen großen Vorbildern. "Ich habe sechs Filme von Douglas Sirk gesehen. Es waren die schönsten der Welt dabei", schrieb Fassbinder 1971. "All That Heaven Allows" (1955) gehörte auch zu diesen Filmen und Fassbinder verwendete dieses Melodram als Vorlage für seine Gastarbeitergeschichte "Angst essen Seele auf" (1974) wie kanpp 30 Jahre später Todd Haynes für "Far from Heaven" (2002). Wie bei Sirk, stehen auch bei Fassbinder immer wieder Frauenfiguren, die an den gesellschaftlichen Umständen scheitern, im Mittelpunkt. Effi Briest in der sehr werkgetreuen Literaturverfilmung "Fontane Effi Briest" (1972/74) gehört ebenso dazu wie "Martha" (1973) oder die dem der Sängerin Lale Andersen nachempfundene Willie in "Lili Marleen" (1980).

Den Höhepunkt hinsichtlich der Gestaltung großer Frauenfiguren stellt wohl seine "BRD-Trilogie" dar, in der die unmittelbare Nachkriegszeit als Periode der vergebenen Chance dargestellt wird. Maria Braun und die anderen Trümmerfrauen machen in Fassbinders vielleicht erfolgreichstem Film "Die Ehe der Maria Braun" (1978) den Wiederaufbau möglich, doch am Ende setzt sich wieder die Herrschaft der aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Männer durch. Auch der einstige UFA-Star Veronika Voss zerbricht in "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982) an der konservativen Nachkriegsgesellschaft und nur die Prostituierte Lola setzt sich in "Lola" (1981) durch, weil sie die Spielregeln der freien Marktwirtschaft durchschaut und diese übernimmt. - Liebesfilme sind dies, doch sie erzählen weniger vom Glück der Liebe als vielmehr entsprechend dem Titel des 1976 gedrehten "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt" von der unstillbaren Sehnsucht.

Fassbinders monumentalstes Werk sollte freilich die Adaption von Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" (1980) werden. Über 15 Stunden lang wurde diese als Fernsehserie angelegte Literaturverfilmung. Auf dem kleinen Bildschirm konnte Fassbinders großer Entwurf aber nie seine Wirkung entfalten. Geklagt wurde über die dunklen Bilder, in denen fast nichts zu sehen sei. Nun gibt es von "Berlin Alexanderplatz" aber eine ton- und bildtechnisch überarbeitete 35mm-Fassung, sodass dieses Opus magnum im Kino neu entdeckt werden kann.

Zum geschlossenen Werk werden diese Filme durch die Arbeit mit einem konstanten Team: Michael Ballhaus, Xaver Schwarzenberger und Dietrich Lohmann prägen mit ihrer Kameraarbeit den visuellen, Peer Raben, der zuletzt für Wong Kar-Wais "2046" einen virtuosen Musikteppich schuf, den akustischen Stil und vor allem StammschauspielerInnen wie Hanna Schygulla, Marquard Bohm, Klaus Löwitsch, Fassbinders einstige Ehefrau Ingrid Caven oder seine leibliche Mutter Liselotte Eder machen Fassbinders Melodramen unverwechselbar.