Von Furunkeln und Double-Binds

4. Juni 2009
Bildteil

Endlich weiss ich – natürlich nicht klar, aber immerhin – warum ich schon so lange nichts mehr überm Tellerrand geschrieben habe. Gefragt habe ich mich diesbezüglich immer schon (das heisst, eben während der Zeit, in der ich es nicht getan habe). Dass Liliane, meine Frau, und ich hier in Sabah auf Borneo in einem Eigentumswohnungsprojekt eingebunden sind und das Stress verursacht – sicher, das könnte ein Grund sein, habe ich mir des öftern gesagt.

Es könnte aber auch grad ein guter Grund sein zum Schreiben, gellt? Dass angesichts der Weltwirtschaftskrise quasi kaum mehr nix kaum zu sagen bleibt, wenn der Ausgewanderte über"n Tellerrand schaut, das war auch immer nicht aber doch klar. Irgendwie. Also, was war"s denn? Oder: Was iss denn nu? Nicht dass ich es wüsste, es ist bloss klar: Es fehlte immer sozusagen der STIMULUS (von einem PAKET ganz zu schweigen) aus dem Westen, aus der Schweiz insbesondere, aus dem Kanton Zug, aus dem Kanton Zürich, aus dem Kanton Glarus und sogar – ob das jemand glauben will oder nicht, muss mir an dieser Stelle und in meiner Position leider egal sein, so leid es mir auch tut – ja, er fehlte sogar aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden.

Ich geb"s zu, es ist schon wahr und nicht gelogen: Ich hatte ein Furunkel an meinem Hodensack. Es gab da einen Moment, da dachte ich: "DAS ist fast ein (Innerr)hoden-Problem." Aber rechtzeitig besann ich mich wieder und wurde dementsprechend schlagartig vernünftig. Denn schliesslich weiss ja jedermann und vor allem jede Frau heutzutage, dass Sigmund Freud in seinem genialen Wurf "Über die Traumdeutung" - ich weiss nicht mehr genau auf welcher Seite und in welcher Edition – schreibt: "Ich war gehandicapt in meiner Arbeit, weil ich ein(en) Furunkel in unmittelbarer Nachbarschaft meines Skrotums hatte. Dies behinderte mich ungemein...." - oder so ähnlich zumindest. Ich weiss nun nicht, ob sich mein Furunkel aufgrund der Lektüre der "Traumdeutung" gebildet hatte oder unabhängig davon. Tatsache ist, dass sich am kritischen Punkt schon seit längerem – seit Jahren würd" ich sagen – eine Talgablagerung gebildet hatte. Und wer Furunkulose-anfällig ist, kann mir jederzeit völlig frank und frei bestätigen, dass ein solchartiger Umstand kein gutes Omen darstellt. Ich würde deshalb trotz Einwänden, denen gegenüber ich, wie angetönt, meinerseits nicht unbesehen abgeneigt sein möchte, behaupten, dass sich mein Furunkel ganz frech und vollkommen autonomistisch bezüglich der Freud-Lektüre gebildet hatte. Oder anders ausgedrückt: Dass es sich auch gebildet haben könnte, wenn es nicht der Fall gewesen wäre, dass ich mir quasi im Vorfeld des Furunkels/der Furunkelbildung/der-Bildung-generell die "Traumdeutung" zu Gemüte – oder zu was auch immer – geführt hätte.

Was aus obigem in seiner Klarheit ganz unverschmutzt quellwässerig hervorgeht: Das Furunkel ist definitiv Geschichte. Sonst könnte ich ja wohl hier und jetzt nicht so salopp darüber referieren und hinweg surfen. Die “Traumdeutung” ist auch Geschichte, allerdings eine, die zu Gemüte – oder wie erwähnt zu was auch immer - zu führen sich noch lange, lange lohnen wird. Bin ich jetzt ein Psycho geworden? Und sagt mir deshalb das, was im Westen, in der Schweiz, in.... während der vergangenen Monate geschehen ist, nicht allzu viel? Nö, denk ich. Was im Westen, in der Schweiz und in... nicht passiert wurde, das war einfach "Too Much of Nothing". Echt. Ich bin ganz, ganz ernst. Ich bin ganz, ganz so, wie ich mich selber nicht kennen möchte! Deshalb trotzdem zurück zum Furunkel: Schlimmer als das real existierend habende war und ist immer noch das generisch-symbolische Weste(r)n-Furunkel. Es scheint, dass dieses Gewächs sich im Moment weder kurieren noch ausdrücken lässt – vor allem nicht verbal-kommunikativ. Eine Double-Bind-Infektion an heikler Stelle. Ich konsumiere täglich westliche Medien – und was sehe und lese ich da? Ich kommuniziere auf allen möglichen analogen und digitalen Kanälen – und was erfahre ich da? Eine vorläufige Antwort, die wieder an meinen Lieblingsfilm "Apocalypse Now" anknüpft (dies ist übrigens deshalb mein Lieblingsfilm, weil ich an keinerlei Apokalypse glaube – und Francis Ford Coppola in seinem Epos auch mehr oder weniger klar macht, dass er ebenfalls nix davon hält). Also: Eine vorläufige Antwort, die auch eine auf die Eingangsfrage dieser hochgradig fragwürdigen Anti-Kolumne ist: Ich sehe und lese in den Medien nix, und ich erfahre über die mehr oder weniger direkten Informationskanäle nix, das nicht schon VORGEGEBEN gewesen wäre – seit Jahren. Und DAS in einer Zeit, in der der Westen, die Schweiz und... eventuell wirklich ein Mal ein Bisschen gefordert wären.

Ok. Kein Problem. Jede(r) will Haut retten, eigene. Glaubt auch, dass kann. Ok. Oder dann halt einfach "Rette sich! Wer kann?” und "Schamama!" (Übersetzung aus dem Beckenbayerischen: "SCHAUEN … WIR … EIN … MAL … !"). Das ist ja, wenn alles ok ist, auch absolut ok. Man könnte aber auch zwei Mal … oder drei Mal … oder ... überhaupt ... !?!?

*Beat Hochuli ist freischaffender Journalist und lebt in Kota Kinabalu, Malaysia.