Von Exploitation bis zu "Proletarischem Kino"

3. November 2007
Bildteil

Die Stärke der Viennale ist ihre Bandbreite. Entdeckungen kann man dabei vor allem bei den Tributes und Retrospektiven machen, in denen durch die Präsentation mehrerer Werke Zusammenhänge sichtbar werden – egal ob das die experimentellen Arbeiten von Nina Menkes, die trashigen Genrefilme von Stephanie Rothman oder die Retrospektive zum "Proletarischen Kino" ist.

Mehr Highlights als jedes andere Filmfestival bietet die Viennale, indem die Rosinen der anderen Festivals eingeladen werden. Ebenso erhellend wie unterhaltsam ist beispielsweise Hartmut Bitomskys Essayfilm "Staub". 90 Minuten widmet sich der deutsche Filmemacher nichts anderem als dem kleinsten für das menschliche Auge sichtbaren Partikel, das überall nur als störend empfunden wird und doch nie ganz beseitigt werden kann, denn: Ein Rest bleibt immer.

Geschickt geht Bitomsky vom Staub auf dem Filmmaterial aus, wendet sich dann dem Hausstaub zu, widmet sich der wissenschaftlichen Erforschung des Staubs ebenso wie dem wertvollen Goldstaub oder dem hochgiftigen Staub auf Projektilen und kommt über den Bergwerks- und Sternenstaub bis zum staubfreien Raum, in dem der Mensch als Staubträger und –erzeuger ein Fremdkörper ist. – Was nach trockener Materie klingt, wird in Bitomskys locker und ungezwungen dahin fließendem Strom aus Bildern, Interviews und Kommentar zu einem wunderbar leichten, aber nie gehaltlosen, sondern im Grunde dicht mit Information bepackten und sogar philosophischen Essayfilm.

Trashiges bietet dagegen die Roger Corman-Schülerin Stephanie Rothman, der bei der Viennale ein Tribute gewidmet war. Nach einem ersten Versuch 1966 ("It´s a Bikini World") drehte die Amerikanerin zwischen 1970 und 1974 nur noch fünf weitere Filme, ihr Einfluss auf Quentin Tarantino ist aber kaum zu übersehen. Wie Rothman mit dem Genre arbeitet, sieht man bei "The Velvet Vampire" schön. Da wird zunächst einmal aus Dracula ein weiblicher Vampir und aus Kostengründen – die Produktionskosten beliefen sich auf 165000 Dollar – wird die Handlung von Transsylvanien in die Mojawe-Wüste verlegt: In L.A. lernt eine Vampirin ein junges Pärchen kennen und lädt dieses in ihre Villa in der Wüste ein. Der junge Mann ist davon begeistert, zieht ihn doch auch die in rot gewandete verführerische Frau an. So findet sich das Paar bald in der Ödnis ein. - Thrill und Sex mischen sich dabei und Rothman entwickelt höchst ambivalente Situationen von Gewalt und Begehren, Lust und Angst.

Gegenpol zu den geradlinigen Genrefilmen von Rothman stellen die experimentellen Arbeiten von Nina Menkes dar, der ebenfalls ein Tribute gewidmet war. Einzeln lässt sich ein Film wie "Phantom Love" mit seiner äußerst fragmentarischen Erzählung und seinen surrealen Bildern kaum entschlüsseln, im Kontext anderer Werke von Menkes wie "Queen of Diamonds" stellen sich aber Querverbindungen ein, die dem Verständnis eventuell auf die Sprünge helfen.

Ähnliches gilt für die Retrospektive zum Proletarischen Kino, in deren Rahmen nicht nur sozialistische Propagandafilme der Zwischenkriegszeit gezeigt wurden, die trotz ihres intentionalen Charakters aufregende Einblicke in die Zeit boten, sondern auch Spielfilme wie Rene Clairs "Sous les toits de Paris" oder G W. Pabsts "Kameradschaft". Als ungebrochen erwies sich dabei beispielsweise die Kraft von Pabsts Bergarbeiterdrama. Auch nach 77 Jahren beeindruckt noch die atmosphärische Dichte, mit der hier die klaustrophobische Enge in den Gruben geschildert wird, aber auch die Leidenschaft, mit der die Solidarität der Arbeiterschaft beschworen wird. – Dass Pabst über dieses Engagement den Handlungsaufbau und die Entwicklung zum dramatischen Höhepunkt vernachlässigt, kann man angesichts der quasidemokratischen Milieu- und Arbeitsschilderung leicht verschmerzen.

Zahlreiche ausverkaufte Vorstellungen und insgesamt über 90.000 Eintritte während der zwölf Tage geben den Festivalmachern jedenfalls Recht. Ihr Konzept mit der Mischung aus aktuellen Produktionen und Retrospektiven, aus Tributes an noch oder schon wieder wenig beachtete Randfiguren einerseits und an einen Star wie Jane Fonda andererseits hat sich bewährt, lockt einerseits die Bewohner Wiens in die Kinos und bietet andererseits Fachleuten aus anderen Ländern die Möglichkeit zu aufregenden Entdeckungen.