Vogelperspektiven

8. Oktober 2005 Bernhard Sandbichler
02.10.2018 bis  02.10.2018
Bildteil

Bartgeier (Gypaetus barbatus) — so war unlängst bei einem Vortrag des Österreichischen Bartgeiermonitoring im Rahmen der Tiroler Landesausstellung 05 »Die Zukunft der Natur« in Galtür zu erfahren — sollen wieder ihre Kreise über den Alpenbogen ziehen. Ein Aufruf zur diesbezüglichen Mithilfe während des Mozartjahres 2006 wendet sich an hochalpine Frisöre. Als einerseits beispielgebend für die andererseits beispiellose Wiederansiedlungsaktion des größten Alpenvogels nannte deren Proponent Gunther Greßmann ein antikes, ein mittelalterliches und zwei moderne Vorgängerprojekte.

Zum ersten das Waldrapp-Pilotprojekt der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal: Dort versuchen BiologInnen von motorisierten Hängegleitern aus, den Waldrapp (Geronticus eremita) per Animation (»Komm, komm, komm!«) vom geschützten Volièren-Umfeld weg zur Alpenüberquerung gen Süden zu bringen. Der prächtige Ibis- und Zugvogel – vor 350 Jahren in Europa ausgerottet – muss die Reiseaktion, wenn’s kalt wird, auf sich nehmen, sie vorher aber notgedrungen von seinen verhaltensforschenden Ziehmüttern und -vätern lernen.

Zum zweiten eine Aufsehen erregende Aktion des kolumbianischen Kondor-Monitors Isidoro Flórez: Der entdeckte, dass die seit 1989 in San Diego und Cincinnati aufgezogenen und zur Repopularisierung in den vogelreichsten Staat der Erde verfrachteten Anden-Kondore (Vultur gryphus) sich besonders schnell an ihre neue Umgebung anpassen, wenn sie nicht nur genügend und hochgradig verwestes Kuh-Aas aufgetischt bekommen, sondern dieses darüber hinaus deftig mit Chilipfeffer gewürzt ist.

Unkonventionell wie die beiden ersten war auch das dritte Projekt, bei dem es um Amseln (Turdus merula) geht, oder vielmehr ging. Demnach gelang es Anselm, um 1100 Erzbischof zu Canterbury, die über die Jahrhunderte des finsteren Mittelalters aus der Stadt entfleuchten Amseln wieder rückzusiedeln, und zwar aufgrund ontologischen Argumentierens: »Wenn wir sagen, dass etwas nicht existiere, dann wäre ein anderes, ihm genau gleiches, wenn es denn existierte, allein kraft seines Existierens existent.« Er wandte das Argument auf die Amsel an. Schließlich habe man sich noch, so Gunther Greßmann, vom Gesang der Erynnien inspirieren lassen, die einst die Kraniche (Grus grus) des Ibykus zurück nach Korinth gebracht hätten.

Der Bartgeier nun also solle ebenfalls durch Musik zurück in die Alpen geholt werden. »Nicht Rossini, Mozart soll es sein!« Greßmanns Augen nahmen einen visionären Schimmer an. »Klänge aus «Figaros Hochzeit», die in den unermesslichen Weiten der beschallten Alpen etwas Dömliches, also Domartiges annehmen.« Würden die Bartgeier erst einmal gekommen sein, so der Monitor, stünden ihnen der Service in unmittelbarer Horstnähe kostenlos zur Verfügung. Der Plan mag verwegen klingen. Greßmann jedoch rechnet mit hoher freiwilliger Beteiligung von Frisören sowohl aus dem italienischen wie österreichischen und Schweizer Raum. Dass die Bartgeier selbst Mozart lieben und sich über den bärtige Seite des Projekts freuen werden, davon ist Greßmann überzeugt. Die Internationale Stiftung Mozarteum hat ihre Unterstützung für das vorläufig während des Mozartjahres 2006 anlaufende Projekt zugesagt. Oder irre ich?

Und wenn schon! »Errare humanum est«, sagt Vater Hieronymus
(Epistulae 27,12), und wir sind schließlich alle bloß Menschen.

Quelle: Vortrag, 16.08.2005, Alpinarium Galtür; New York Times 26.09.2005

Nähere Informationen:
Österreichisches Bartgeiermonitoring
Gunther Greßmann
Johann-Panzl-Straße 5
9971 Matrei in Osttirol
Tel.: 0664/8203055