Vienna Noir – "Kassbach" (1979) von Peter Patzak

26. März 2021
Bildteil

Am 11. März ist der Filmemacher, Maler und Autor Peter Patzak 76-jährig in Krems gestorben. Österreich verliert damit einen Regisseur und Künstler, der wie kaum ein anderer die heimische Film-und Serienlandschaft geprägt hat. Über 70 Filme tragen seine Handschrift, er lehrte ab 1993 als Regie-Professor an der Filmakademie Wien.

Schon früh arbeitete Patzak mit bekannten Schauspielgrößen wie Paula Wessely, die in "Glückssache" (1977) eine Supermarktkassiererin spielte. "Paula Wessely war damals eine ganz neue Erfahrung", so Patzak einmal in einem Interview. "Ich habe Ausschnitte am Schneidetisch gesammelt und immer wieder angehört. Was der Strich von Kokoschka ist, ist bei ihr die Melodie der Sprache."

Noch bevor es eine offizielle Filmförderung in Österreich gab, drehte er 1979, wie nebenbei zwischen den einzelnen Episoden der erfolgreichen Fernsehkrimireihe "Kottan ermittelt" den wesentlich düsteren Polit-Thriller "Kassbach".

Radikalisierung eines Kleinbürgers

Basierend auf der Romanvorlage von Helmut Zenker, der auch die "Kottan"-Drehbücher beisteuerte, skizziert "Kassbach – Ein Portrait" die Radikalisierung des kleinbürgerlichen Gemüsehändlers Karl Kassbachs. Als Portrait, im breiten Wiener Dialekt direkt in die Kamera sprechend, erleben wir auch die Hauptfigur im ersten Bild: "Also am liabsten hob i a kaltes Bier, a bissl abgstanden mit net so viel Kohlensäure drin. Und in der Früh Kakao. Am Donnerstag iss i gern Spinat mit Spiegelei oder gekochtes Rindfleisch, am Freitag gebackenen Seefisch und am Sonntag hob i gern kalte Platten. (...) Für an Bauernschmaus fahr i kilometerweit. Und Erbsen mit Speck könnt i essen bis zur Vergasung!"

Diese Interview-Einschübe ziehen sich über den ganzen Film und strukturieren den Fortgang der eigentlichen Handlung. Neben Kassbach selbst kommen seine Mutter, Nachbarn und ein Polizeibeamter zu Wort. Die meist wohlmeinende Fremdeinschätzung steht im großen Kontrast zu den Taten Kassbachs.

Vienna Noir

Im Wien der späten 1970er-Jahre ist der Nationalsozialismus noch kein Thema im Geschichtsunterricht, sondern noch immer versteckt gelebte Ideologie.

Die Hauptfigur Kassbach scheint am Leben zu scheitern: Die Ehe ist marod, die Versuche, das 15-jährige Lehrmädchen zu verführen, scheitern anfangs auch. Der nur wenige Jahre ältere Sohn von Kassbach bringt schlechte Noten nach Hause und trägt die Haare zu allem Überfluss lang.

Als sich im Hinterzimmer eines Gasthauses die "Initiative" gründet, ist Karl Kassbach von ihrer Idee eines rechtsradikalen Terrors angetan, endlich kann er aktiv werden und seinen angestauten Frust kanalisiert nach Außen richten und scheut auch von Gewalt nicht zurück. Deshalb wird fortan nicht mehr in der Kegelbahn, sondern im Keller getrunken. Die neuen Ziele bilden hier Meerschweinchen, geschossen wird mit scharfer Munition – man will sich ja vorbereiten und in Übung bleiben, die eigene Zeit bei der Wehrmacht liegt ja einige Jahrzehnte zurück.

Dass die Theorien seiner Kameraden oft widersprüchlich sind und er den Kontakt zu seinem Sohn gänzlich verliert, bemerkt Kassbach nicht.

Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?

Die Wiener Straßen und seine verrauchten Hinterzimmer und Kellerabteile wirken düster und ausladend. Oft bildet die Kamera das Geschehen in weiten Totalen ab, innerhalb derer nur wenig Schnitte gesetzt sind, was zu einem langsamen Erzähltempo führt. Einzelne Bilder sind gleichzeitig dermaßen komponiert, dass es nicht verwundert, dass Martin Scorsese "Kassbach" zu einem seiner Lieblingsfilme zählt - die harte Stimmung des Filmes und die chauvenistischen Streitereien erinnert doch stark an "Mean Streets" und "Taxidriver".
Die Doppelmoral und Selbstgerechtigkeit der Figuren erinnert hingegen stark an den "Herrn Karl"-Monolog von Helmut Qualtinger.
Dabei fällt ein präzises Sprachgespür für Tempo und Tonfall der Figuren auf, hier wurde dem Wiener Kleinbürger sehr genau aufs Maul geschaut. Die Dialoge wirken authentisch, als lausche man im Beisl bei einem Krügerl Otterkringer einem Gespräch am Nebentisch.

Immerbeschäftigter Kunstschaffender

Neben seiner Regietätigkeit für Film und Theater wirkte Peter Patzak auch als Maler und Autor. Sein letzter Roman "Wo bitte wohnt Herr Friedrich Engels?" ist 2020 erschienen und behandelt seine Jugendjahre in den 50ern rund um den Friedrich-Engels-Platz im 20. Wiener Gemeindebezirk.

Patzak sprach im März 2020 mit dem Filmarchiv über seine "Kinoerinnrungen". Im Buch "Peter Patzak. Regisseur, Autor, Maler", herausgegeben 2009 von Karin Moser und Andreas Ungerböck (Filmarchiv Austria), wird die (Arbeits-)Welt des Workaholics Patzak auf über 450 Seiten deutlich. Das Vorwort für den Wälzer schrieb niemand Geringeres als Martin Scrosese.

Auf der österreichischen Streamingplattform flimmit.at sind neben der ersten Staffel der "Kottan ermittelt“-Filmreihe aus dem Jahr 1976 in memoriam 11 Film von Peter Patzak zu sehen, darunter auch der hier besprochene „Kassbach" und das Kottan-Kino-Revival aus dem Jahr 2010.

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