Vertrauen auf die physische Präsenz: Jean Gabin

Der 1904 in Paris geborene Jean Gabin prägte mit seinen Rollen den Poetischen Realismus der 1930er Jahre, aber zur Legende wurde er vor allem mit der Verkörperung von Gangstern, Patriarchen und Simenons Kommissar Maigret ab den 1950er Jahren. Das Filmpodium Zürich widmet dem 1976 verstorbenen Schauspieler eine Retrospektive.

Zwar waren die Eltern von Jean Gabin Varietékünstler, doch er selbst interessierte sich für die Bühne zunächst nur wenig. Auch später bedeutete für ihn die Schauspielerei nie das Leben, immer gab es daneben noch die bäuerliche Tätigkeit auf seinem Gut in der Normandie, auf dem er auch Rennpferde züchtete. Glamour schätzte er nicht, sondern lebte zurückgezogen.

Diese Zurückhaltung kennzeichnete auch seinen Schauspielstil. Statt groß zu agieren, vertraute er auf seine physische Präsenz und auf seinen Blick. Zum Film kam er 1930, als die Kinoindustrie Schauspieler suchte, die auch vor dem Mikro bestehen konnten. In Hans Steinhoffs und René Pujols musikalischer Verwechslungskomödie "Chacun sa chance" (1930) gab er sein Leindwanddebüt, der große Durchbruch gelang ihm aber erst sechs Jahre später mit Julien Duviviers "Pépé le Moko" (1937).

Mit diesem fatalistischen Gangsterdrama wurde er zum zentralen Schauspieler des Poetischen Realismus. Für Marcel Carné spielte er in "Quai des brumes" (1938) und "Le jour se lève" (1939) proletarische Verlierer, für die es keine Zukunft gibt. Mit Jean Gremillon drehte er das Schleppkahn-Melodram "Remorques" ("Schleppkähne", 1941) und viermal stand er für Jean Renoir vor der Kamera. Für diesen von Gabin hochgeschätzten Regisseur spielte er in der Adaption von Gorkis "Nachtasyl" ("Les Bas-fonds", 1936) ebenso wie in der Verfilmung von Zolas "La bête humaine" (1938), berühmt aber machte ihn vor allem seine Darstellung eines Offiziers in "La grande illusion" (1937).

Für Politik interessierte sich Gabin nicht, dennoch war er als einziger wichtiger französischer Schauspieler während der Besatzungszeit nicht bereit, in von den Deutschen kontrollierten Filmen zu spielen. Über Portugal emigrierte er deshalb 1941 in die USA, doch konnte er sich dort aufgrund fehlender Englischkenntnisse nicht durchsetzen. Nach zwei Filmen kehrte er 1943 in den unbesetzten Teil Frankreichs zurück und schloss sich den Befreiungskräften General de Gaulles an.

Überraschend schwierig gestaltete sich sein Comeback nach Kriegsende. Seine ersten Filme waren Misserfolge, erst mit der Hauptrolle in Jacques Beckers "Touchez pas au grisbi" ("Wenn es Nacht wird in Paris", 1954), gelang ihm wieder der Durchbruch. Gerade mal 50 Jahre alt war Gabin zu dieser Zeit, spielte von nun an aber stets ältere, graumelierte Herren.

Die Bandbreite reichte dabei vom Varietébesitzer in Jean Renoirs "French Can Can" (1955) über den verdeckt gegen einen Drogenring ermittelnden Polizeiinspektor in Henri Decoins "Razzia sur la Chnouf" (1955) bis zu einem alternden Ex-Ministerpräsidenten in Henri Verneuils "Le président" (1961).

Auch in Komödien wie an der Seite von Louis de Funès in "Le Tatoué" ("Balduin das Nachtgespenst"; Denys de La Patellière, 1968) wirkte er mit, doch nachdrücklich in Erinnerung bleibt er vor allem durch seine Verkörperung von Gangstern auf der einen Seite und Polizisten wie von Georges Simenons Kommissar Maigret, den er in drei Filmen spielte, auf der anderen.

Mit den Regisseuren der Nouvelle Vague arbeitete er nie zusammen, auch wenn Francois Truffaut Projekte mit der Schauspiellegende vorbereitet haben soll. Bis zu seinen letzten Rollen eines desillusionierten Polizisten in José Giovannis "Deux hommes dans la ville" ("Endstation Schafott", 1973) und Jean Giraults Gaunerkomödie "L´année sainte" ("Zwei scheinheilige Brüder", 1976) prägte er mit seinem markanten Charakterkopf aber das traditionelle französische Kino, ehe er am 15. November 1976 an Herzversagen starb.

Trailer zu "La grande illusion"