Verschwörungs-Theorien

Die Ausstellung "The Conspiracy / Die Verschwörung", die vom 1. August bis 6. September 2009 in der Kunsthalle Bern zu sehen ist, vereint Arbeiten lokaler und internationaler Künstlerinnen und Künstler, die unterschiedliche künstlerische Kommunikationsstrategien – seien sie partizipativ, provokativ oder passiv – repräsentieren. Da mehrere Künstlergenerationen vertreten sind, treffen zusätzlich unterschiedliche Vorgehensweisen öffentlicher Interaktion aufeinander.

"The Conspiracy / Die Verschwörung" bildet eine Untersuchung der Wahrnehmung und Rezeption von Kunst im öffentlichen Diskurs und sucht nach Strategien, mit denen Künstlerinnen und Künstler Bezüge zu den verschiedenen Verstehensmustern des Publikums aufbauen. Die Ausstellung findet zu einem Zeitpunkt statt, da Kunstinstitutionen im Spannungsfeld zwischen einer auf das Publikum ausgerichteten Ausstellungspolitik oder einer kunstfokussierten Herangehensweise navigieren müssen. Oft ist die Kritik zu hören, dass der Betrachter von der ausgestellten Kunst zum Narren gehalten würde.

Als Grundcharakteristikum eines kulturellen Objekts wird dessen (angebliche) Signifikanz oder "Bedeutung" jenseits seiner Materialität angesehen, weswegen die Kunst sich oftmals legitimieren und eine "Daseinsberechtigung" suchen muss. Das Bewusstsein einer strukturellen Differenz zwischen dieser "Bedeutung" und der materiellen Anschaulichkeit eines Kunstwerks ist mittlerweile Teil unserer Wahrnehmung der Welt und ihrer Repräsentationen geworden. Dies gibt der Folgerung Raum, die Bedeutung kultureller Objekte als etwas Beliebiges, Arbiträres zu betrachten. Oft wurde die moderne und zeitgenössische Kunst denn auch dem Verdacht ausgesetzt, dass die "Bedeutung" von Kunst gleichsam das Ergebnis einer Verschwörung sei, jedoch keine Tatsache.

Diese Kritik ist so alt wie die Avantgarde, doch war es Jean Baudrillard, der die Kunstwelt mit seinem Text Le Complot de l’Art erzürnte, welcher 1996 in der französischen Zeitung Libération erschien. In seinem Artikel behauptet Baudrillard, dass Kunst überall existiere, nur nicht in der Kunst, und dass die Kunstwelt nur noch insider trading betreibe (eine Praktik, in der ein Insider oder eingeweihter Akteur auf der Basis rechtserheblicher und öffentlich nicht zugänglicher Informationen, die er oder sie sich während der Berufsausübung verschaffte, an den Märkten handelt). Baudrillard ist zudem besorgt, dass die nahe und fast schon bedrückende Beziehung zwischen Künstler und Konsument, die Obszönität der Interaktivität, sowie der Mangel an formalen Unterschieden zwischen Kunst und Wirklichkeit der Kunst geschadet haben.

Dies führt uns zum Kern von Baudrillards Unzufriedenheit mit der Kunstwelt – die Aufgabe der Kunst ist es, uns zu helfen, mit unseren lebensnotwendigen Illusionen zurechtzukommen – der Tatsache, dass wir die Realität nicht kennen, sondern lediglich die Erscheinungen, hinter denen sich die Wirklichkeit verbirgt. Gute Kunst in Baudrillards Augen respektiert diese grundlegende Illusion, die unser ganzes Dasein umgibt. In den letzten Jahren kam die Kunst vermehrt mit Ideen des "Realen" in Verbindung, mit Versuchen, die Wirklichkeit zu denken.

Baudrillard zufolge hat die Kunst - wie die Pornographie - jegliche Sehnsucht nach Illusion verloren; stattdessen beschränkt sie sich auf Rückkoppelung, auf konstante Selbstreflexion und hat ihr eigenes Verschwinden zu einer Art Kunstform gemacht. Für Baudrillard schwebt die Kunst zwischen ästhetischer Bedeutungslosigkeit und kommerziellem Rausch; er bezeichnet sie als transästhetisch: eine Pornographie der Transparenz, die man nur mit Ironie und Indifferenz erfahren kann. Darüber hinaus stellt Le Complot de l’Art mit Nachdruck den privilegierten Zustand der Kunst in Frage, der ihr durch die Autoritäten der Kunstwelt zugewiesen wird. Baudrillard sucht eine Kunsterfahrung, die frei von der Mediation durch Kuratoren und Galeriebesitzer ist; sein Ruf nach Distanz und sein Appell an die Eigenheiten der Kunst fügen sich in den Diskurs einer Verschwörung der Kunst ein, an dem heute populistische Politiker (die Kunst-Events favorisieren) und Kulturmakler partizipieren.

Doch gerade weil sie Präzision und Ambiguität vereint, erscheint die Kunst als verdächtig – nicht wegen der Transparenz von Botschaften und Gefühlen. Wie schon Jacques Rancière schrieb, wird Kunst nicht deshalb politisch, weil sie soziale Strukturen, Konflikte, oder Identitäten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen repräsentiert. Kunst ist vielmehr politisch wegen der grossen Distanz, die sie zu solchen Funktionen einnehmen kann, und zwar durch die Zeitlichkeit und den Raum, die sie konstituiert, und durch die Art, wie sie sich die Zeitlichkeit zurechtschneidert und den Raum besiedelt. Was der Kunst "eigen" ist, gemäss Rancière, besteht in jener materiellen und symbolischen Reorganisation des kollektiven Verhandlungsraumes. Hierbei ist sie bestrebt, eine Divergenz innerhalb dieses gemeinschaftlichen Raumes zu erzeugen, die immer wieder neu gebildet werden muss.

Vielleicht wird Kunst deshalb als verdächtig angesehen, weil sie das Versprechen gibt, die Verschwörung der Massenmedien blosszustellen, deren wichtigste Funktion es zu sein scheint, zu verstecken und zu verschleiern, zu verhindern, dass Wahrheiten ausgesprochen, geschrieben oder aufgezeigt werden und die Herausbildung eine historischen Bewusstseins und eines kollektiven Gedächtnisses zu boykottieren, die nicht auf der Trivialkultur fussen.


The Conspiracy / Die Verschwörung
1. August bis 6. September 2009