Unterhaltungspark des Underground

Peter Sempel (*1954, lebt in Hamburg) wuchs im australischen Outback auf und kam erst mit 12 Jahren nach Deutschland. Er studierte an der Universität Hamburg Literatur und Sportwissenschaft. Sein eigentliches Interesse aber galt immer der Musik: Von der Klassischen Musik bis hin zum Punk. Er schrieb Kritiken für Musikmagazine oder Fanzines. Anfang der 1980er Jahre drehte er seine ersten Musikfilme, in denen er die Musik des Underground, der Klassik und den Tanz miteinander kombinierte.

Die Gespräche, die er nach den Auftritten mit Musikern führte, gaben ihm nicht nur tiefe Einblicke in das jeweilige Schaffen, sondern führten auch zu vielen engen Freundschaften, auf deren Basis die meisten Filme entstanden. Zu seinen bekanntesten Musikfilmen zählen "Dandy" (1988) oder "Lemmy (Motörhead)" (2002/03).

Neben der Musik interessierte ihn auch das Medium Film als eigenständige Kunstform. In diesem Kontext beschäftigte er sich ausgiebig mit dem litauischen Filmemacher Jonas Mekas, über den er zwei Dokumentarfilme – bzw. Filmcollagen – drehte: "Jonas in the Desert" (1994) und "Jonas at the Ocean" (2003). In den Filmen kommen auch zahlreiche Wegbegleiter und Bewunderer wie Kenneth Anger, Allen Ginsberg oder Martin Scorsese zu Wort. Tief beeindruckt war er auch von dem erst kürzlich im Alter von 103 Jahren verstorbenen Butho-Tänzer Kazuo Ohno, über den er die Filme "Just Visiting This Planet" (1991) und "I dance into the light" (2004) drehte. Überhaupt ist Tanz ein immer wiederkehrendes Thema seiner Filme. So nähert sich "Flamenco mi vida" (2007/08) in eindrucksvollen Bildern dem Wesen des Flamenco an und stellt weltumspannende Einflüsse und Bezüge her.

In den letzten Jahren widmete sich Peter Sempel immer mehr auch dem Bereich der Bildenden Kunst. Sein neuster Film "Die Ameise der Kunst" wird im September im Rahmen seiner ersten institutionellen Einzelpräsentation im Kunstverein Hamburg Premiere haben. Der "Musikfilm in Collageform" beobachtet mehr als 50 Akteure des Kunstbetriebs u.a. Bazon Brock, Jonas Burgert, Harald Falckenberg, Shilpa Gupta, Jonathan Meese, Neo Rauch, Daniel Richter oder Herbert Volkmann in ihren Ateliers, auf Ausstellungseröffnungen, als Teil einer internationalen Kunstszene. Im Mittelpunkt steht aber auch die Tänzerin "Große Arabeske, zweite Position" – eine Plastik von Edgar Degas aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle. Der Film taucht in verschiedene Kunstwelten ein. Dabei lässt sich der Filmemacher Peter Sempel von seinen Eindrücken leiten, ohne konkrete Fragestellungen zu verfolgen.

Er versteht das Filmprojekt als "Musikmalereikomposition", bei der die Kunst den vielfältigen Farben eines Gemäldes entspricht und die Musik eine wichtige Rolle spielt. So findet sich im "Soundtrack" des Films Musik von den Einstürzenden Neubauten, Abwärts oder den Goldenen Zitronen aber auch Stücke von Schubert, Mozart oder aus dem Flamenco. Sein Langzeitfilmprojekt führte ihn von Hamburg nach Yokohama, zur Art Basel Miami Beach oder nach Barcelona. Dabei traf er auf zahlreiche bekannte Personen des Kunstbetriebs, auf internationale Künstler, Galeristen, Sammler, Museumsdirektoren und – überraschenderweise – auch auf zahlreiche Tierarten wie Alligatoren, Geier Pferde, Kühe, Affen oder Giraffen: Von der "Diktatur der Kunst" zur "Ameise der Kunst".

Seine filmischen Arbeiten sind komplexe Gebilde, die das Medium immer wieder neu ausloten und sich an den Grenzen zwischen Dokumentarfilm, Bild- und Soundcollage bewegen. Die Filme werden auf internationalen Filmfestivals gezeigt, von ihm selbst in Programmkinos und Kunstinstitutionen vorgeführt oder im Fernsehen ausgestrahlt. Dabei entstehen seine Filme nie im Auftrag von großen Produktionsfirmen oder Fernsehanstalten. Für jedes seiner aufwendigen Filmprojekte wirbt Peter Sempel eigenständig finanzielle Mittel ein oder erfährt Unterstützung von öffentlichen Filmförderungen.

Neben seinen Filmprojekten entstehen auch immer wieder fotografische Arbeiten und Collagen. Sie dienen nicht nur als Begleitpublikationen zu seinen Filmen, sondern stellen auch die logische Erweiterung und Fortsetzung seiner Filme in andere Medien dar. Der Kunstverein präsentiert in einer gleichzeitigen Bild- und Toninstallation die Langversion des Films "Die Ameise der Kunst" sowie weitere Filme und Videos von Peter Sempel. Eben einen "Unterhaltungspark des Underground".

Peter Sempel - Unterhaltungspark des Underground
18. September bis 10. Oktober 2010