Umstrittene Räume

Architekturbiennale in Venedig. Zweimal musste ich stornieren, beim dritten Mal, im neuen Jahr, klappte es. Den leeren Markusplatz hab ich nicht erlebt, jedoch die erstmals mäßig besuchte Biennale, trotz Wochenendes. Wo das am deutlichsten spürbar ist? Bei den Toiletten!

Hashim Sarkis, der Kurator der 17. Architekturbiennale 2021, gibt das Thema – für ihn gleichzeitig Titel und Frage – vor: "Wie werden wir zusammenleben?" Im Arsenale ist er für die Ausstellungsgestaltung verantwortlich und verzichtet auf die übliche bzw. erwartete atmosphärische Einstimmung im Eingangsbereich der immer aufs Neue beeindruckenden Räumlichkeiten. Sarkis legt es sehr (zu?) didaktisch an und gruppiert schon hier – mit der Überschrift "Among Diverse Beings" – geladene Teams mit ihren Beiträgen rund um die großen metallenen Scherenschnitt-Figuren.

Überrascht bleibe ich gleich beim ersten, linke Seite, hängen. "Your Restroom Is A Battleground"*. Ein Kreissegment mit "Puppenstuben"-Szenen und jede/r will dazu die erläuternden Geschichten an der rohen Ziegelwand auch lesen: Toiletten werden für neutrale, rein funktionelle Einrichtungen gehalten, aber es sind architektonische Elemente, in denen Geschlecht, Religion, Rasse, Fähigkeiten, Hygiene, Gesundheit, Umweltbelange und Wirtschaft kulturell definiert und materiell artikuliert werden.

Toiletten sind Konfliktfelder. In China besetzte die Aktivistin Li Tingting eine hoch frequentierte Herrentoilette, um auf die Definition von Parität in Bezug auf öffentliche WC-Anlagen hinzuweisen: gleiche Grundfläche für Männer und Frauen, obwohl bei den einen durch Urinale eine größere Belegung möglich ist und bei den anderen tatsächlich mehr Zeit benötigt wird und auch die begleiteten Kinder die Nutzung erhöhen. Oder die "Toilettenkriege" in einem Township von Kapstadt, wo sich die schwarzafrikanischen BewohnerInnen in trockenen Plastikeimern erleichtern mussten, während wasserbasierte Sanitärsysteme den wohlhabenden weißen Vierteln vorbehalten waren. Oder in Haiti, wo nach dem Erdbeben von 2010 ein Großteil der Infrastruktur von Port-au-Prince zerstört war, die Bewirtschaftung von Abwasser zu einem Umweltproblem geworden ist und zu einer verheerenden Epidemie beigetragen hat.

Eine frappante Fortsetzung dieses Forschungsbeitrags gibt es in den Giardini, wo bis auf den Zentral-Pavillon die einzelnen Nationen ihre Häuser kuratieren. Der Restroom-Pavillon. Diesen besucht jede/r allemal. Es sind die Toiletten. Im Inneren tritt eine neue Materialisierung an Stelle der Fliesen und Statements im Eingangsbereich untersuchen am Beispiel von Venedig einige Knoten im Netzwerk von Körpern, Infrastrukturen, Ökosystemen, kulturellen Normen und Regulierungen, das alles verstrickt: Wir wussten nicht, dass Lysoform, das für die Reinigung von WC-Anlagen eingesetzt wird, nicht nur das venezianische Ökosystem belastet und in verschiedene Nahrungsketten gelangt, sondern auch die Luft durch Verdunstung flüchtiger anorganischer Verbindungen verändert. Der ikonische venezianische Nebel ist heute voller Lysoform!

** Eine Forschungsprojekt von: Matilde Cassani, Architectural Association (Milan, Italy); Ignacio G. Galan, Barnard College, Columbia University (New York, USA); Ivan L. Munuera, Princeton University (Princeton, USA); Joel Sanders, Yale University (New Haven, USA).
*