Die in Vorarlberg geborene und in New York lebende Künstlerin Ulrike Müller arbeitet in unterschiedlichen Medien und Zusammenhängen. Ausgehend von einer Befragung konzeptueller Praktiken, untersucht sie in Zeichnungen, Malerei, Video-, Sound- und Performancearbeiten das gesellschaftspolitische Potenzial künstlerischer Tätigkeit. Im Vordergrund ihres Interesses steht dabei eine Auseinandersetzung mit den Mehrdeutigkeiten gegenwärtiger Genderdiskurse jenseits binär gedachter Identitätszuschreibungen wie Mann/ Frau, Hetero/ Homo.
Von 2005 bis 2007 war Ulrike Müller neben K8 Hardy, Ginger Brooks Takahashi und Emily Roysdon Mitherausgeberin des Zines LTTR – eines queeren, kollaborativen Zusammenschlusses von KünstlerInnen, die in ihren Aktivitäten gemeinsam an einer Fortschreibung und Aktualisierung des Feminismus der 1970er Jahre in der Gegenwart arbeiteten. Der historische Bezugspunkt wurde dabei nicht als Ikone, also als Kultbild ohne aktuelle Bedeutung behandelt, sondern vielmehr als eine bewegte und bewegende Referenz. Ulrike Müllers Projekt "Herstory Inventory", welches erstmalig in der KUB Arena präsentiert wird, fand seinen Ausgangspunkt vor mehreren Jahren, als die Künstlerin im Zuge von Recherchen in den Lesbian Herstory Archives (Brooklyn, New York) auf die Inventarliste der in der Sammlung verwahrten T-Shirts stieß. Seither hat Müller 100 internationale KünstlerInnen eingeladen, jene von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin verfassten Textzeilen, die auf akribische und liebevolle Weise die Motive und grafischen Elemente der T-Shirts beschreiben, in neue Bilder zu überführen. Vor dem Hintergrund eines Bewusstseins über die Bewegungsgeschichte wird das Zeichnen zu einem Akt der politischen Auseinandersetzung mit historischen Insignien, Symbolen und Positionierungen des US-amerikanischen lesbisch-feministischen Diskurses. In einem breiten Spektrum an Stilen, Formaten und Fragestellungen führen die Übersetzungen der Texte in Bilder persönliche Haltungen gegenüber historischen feministischen Bildfindungen auf und konfrontieren sie mit ihren queer-feministischen Aktualisierungen. Gleichzeitig bieten die Zeichnungen von KünstlerInnen wie Amy Sillman, Linda Bilda, Cristina Gómez Barrio und R. H. Quaytman Einblicke in künstlerische Strategien der Bildpolitik und Formfindung. Mit Ulrike Müllers Einladung, Bilder aus der Geschichte des lesbischen Feminismus neu zu denken, wird die Inventarliste des Lesbian Herstory Archives zu einem offenen Ausgangspunkt für eine Vielzahl an künstlerischen Entwürfen. Im Prozess der Aneignung, Bearbeitung und Überführung des Ausgangsmaterials in Zeichnungen entstehen neue Bilder, die auf die Wandlungsfähigkeit und das Oszillieren queerer Identitäten verweisen, anstatt in einem abgeschlossenen Bild ihrer Repräsentation zu erstarren. Queere Kollektivität ist in diesem Zusammenhang als ein Zusammenschluss zu verstehen, der nicht auf festgelegten Identitätsvorstellungen basiert, sondern zunächst auf einer geteilten Ablehnung patriarchaler Normen und der Notwendigkeit, Alternativen zu heteronormativen Bezugssystemen zu entwerfen. In dem in der KUB Arena präsentierten Projekt verschränken sich somit individuelle und kollektive Gesten und fordern dazu auf, kreatives Handeln auch in Hinblick auf gesellschaftspolitische Fragestellungen zu denken. Nach ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien nahm Ulrike Müller am Whitney Independent Study Program (2002–2003) sowie am P.S.1 International Studio Program (2003–2004) teil und lehrt seither an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten. Neben zahlreichen internationalen Ausstellungsbeteiligungen vertrat sie 2010 Österreich mit einer neuen Serie von Emaillearbeiten auf der Biennale in Kairo. 100 beteiligte KünstlerInnen: A. K. Burns, A. L. Steiner, Adriana Minoliti, Alhena Katsof, Allyson Mitchell, Amy Linton, Amy Sillman, Ann Cvetkovich, Anni Viinikainen, B. E. Wiest, Barbara Eichhorn, Carola Dertnig, Carrie Yamaoka, Cauleen Smith, Celeste Dupuy-Spencer, Chitra Ganesh, Chris Castillo, Cristina Gómez Barrio, Dawn Kasper, Dean Daderko, Edie Fake, Elke Krystufek, Emily Roysdon, Erika Vogt, Faith Wilding, Fiona Rukschcio, Fox Hysen, Gabriela Santiago, Georgia Sydney Lassner, Ginger Brooks Takahashi und Dana Bishop-Root, Gregg Bordowitz, Guadalupe Rosales, Hans Scheirl, Iris Andraschek, Jamie Chan, JD Samson, Jennifer Montgomery, Jibz Cameron, Jocelyn Davis, Johanna und Mona Gustavsson, Johanna Kirsch, Jonah Groeneboer, Joy Episalla, Julie Evanoff, K8 Hardy, Kate Huh, Katherine Hubbard, Kathleen Hanna, Keltie Ferris, Kim Kelly, Lee Maida, Lee Relvas, Leidy Churchman, Leigh Ruple, Lily Benson, Linda Bilda, Linda Stillman, Lisa Ulik, Litia Perta, Louise Fishman, Lovett & Codagnone, Lucy Dodd, Malin Arnell, Marget Long, Maria Gafarova, Mariah Garnett, Marie-Thérèse Escribano, Marlene McCarty, Math Bass, Matthew Lutz-Kinoy, Michaela Mélian, Michele Araujo, Michelle Dizon, Mitra Wakil, Monica Jane Peck, Moyra Davey, MPA, Myriam Lanau, Nancy Brooks Brody, Nicole Eisenman, Onya Hogan-Finlay, Pam Lins, Patricia Reschenbach, R. H. Quaytman, Ricarda Denzer, Robert Bordo, Robin Hustle, Sadie Benning, Sam Miller, Samara Davis, Shelly Silver, Simone Bader, Sowon Kwon, Suzanne Wright, Tara Mateik, Taylor Davis, Terrilynn Quick, Therese Roth, Travis Boyer, Ulrike Müller, Wolfgang Mayer, Wu Tsang, Wynne Greenwood, Xylor Jane, Zoe Leonard.
Ulrike Müller - Herstory Inventory 100 feministische Zeichnungen von 100 KünstlerInnen 21. April bis 24. Juni 2012 Eröffnung: Fr 20. April 12, 19 Uhr