True Story

Eine Krankengeschichte. Der Leidensweg durch die brutalen, kaum zu überlebenden Behandlungen nach der Krebsdiagnose. Leukämie. Suleika Jaouad ist jung, gerade mit der Ausbildung fertig, am Starten in ein spannendes Berufsleben, als das Damoklesschwert auf sie nieder rasselt. Begleitet von ihrer Familie – der Bruder kommt sogar für die Knochenmarkspende in Frage – und in einer frisch verliebten Beziehung, die aufs Äußerste strapaziert wird, tritt sie einen fünfjährigen Leidensweg an. Mutig, ja, aber sie kann nicht wissen, in welchen Dimensionen sich das Sonst-wirst-du-sicher-sterben abspielt. "Als sich die Transplantation näherte, fühlte sich jeder Tag an wie ein Carpe-diem-Countdown. Ich verspürte das Bedürfnis, alles, was ich machte auszukosten. Jeder Tag, jede Stunde war wertvoll und durfte nicht verschwendet werden. Die Zeit jagte mich wie Beute."

Als bewegende Chronik eines Überlebenskampfes gestaltet sich der erste Teil des Buchs durchaus amerikanisch erzählt und in diesem Jargon gut lesbar übersetzt. Doch was macht diesen beinahe voyeuristischen Lesefluss aus? Ist es das Teilhaben an unvorstellbar grausamen, menschenunwürdigen Behandlungsmethoden, die jedem Überlebensinstinkt widersprechen? Suleika unterzieht sich allem, was ihr medizinisch vorgeschlagen wird. Und sie überlebt, während rundherum viele andere sterben. Im Präsens geschrieben, sind die LeserInnen live dabei. Sie beginnt auch mit einem hochgeklickten Blog und wird von der New York Times für eine regelmäßige Kolumne eingeladen: „Life Interrupted“. Das Echo darauf ist gewaltig, und daraus ergeben sich mannigfaltige Kontakte und Freundschaften mit Selbst-Betroffenen und Tief-Berührten.

Im zweiten Teil des Buchs unternimmt Suleika mit ihrem Terrier Oscar einen hundert-tägigen Roadtrip durch die USA und besucht diese Menschen, die so schicksalhaft miteinander verbunden sind. Sie macht sich auf den Weg zurück in ihr Leben. "Entscheidend ist, dort zu sein, wo man sich gerade befindet", das ist ein Ratschlag, der zum Leitsatz wird. Sie macht Station bei den von der Krebskrankheit betroffenen LeidensgenossInnen, aber auch im Hochsicherheitsgefängnis in Texas, um Quintin Jones zu treffen, der auf die Exekution seines Todesurteils wartet. Auch wenn sich Suleika Jaouoad später als prominente Emmy-Preisträgerin, Bestsellerautorin, Vortragsrednerin, Krebsüberlebende, Aktivistin und Mitarbeiterin in Barack Obamas President’s Cancer Panel für seine Begnadigung einsetzte, wurde er im Mai 2021 hingerichtet.

Für Suleika gibt es ein vorläufiges Happyend, auch wenn ihr „Immunsystem weiterhin Fehlzündungen“ hat und „ein grippaler Infekt zu Komplikationen führt, aus denen eine Sepsis wird“. Es ist doch eine amerikanische Geschichte, aber eine sehr eindrucksvolle. "Auf dem Boden der Küche meiner alten Wohnung, kränker denn je, mein Herz in tausend Teile zersplittert, hatte ich am Glauben festhalten müssen, dass es dort draußen eine wahrere, umfassendere und erfüllendere Version meines Lebens gibt. Ich hatte keine Lust, mein Dasein als Märtyrerin zu fristen, allein durch das Schlimmste definiert, was mir zugestoßen war. Wenn das eigene Leben zu einem Käfig geworden ist, kann man die Gitterstäbe lösen und seine Freiheit zurückfordern. Daran musste ich glauben, und ich sagte es mir immer wieder, bis ich meine eigenen Worte glaubte: Ich werde meine Entwicklung beeinflussen."

Suleika Jaouad: Zwischen den Welten
Aus dem Amerikanischen von Elke Link
Originaltitel: Between two Kingdoms
Paperback, 480 Seiten, Goldmann, Oktober 2021, ISBN: 978-3-442-31444-7