Trotz Folter und Krieg lächeln

14. Februar 2008
Bildteil

Jedes Festival braucht mindestens einen Film wie Mike Leighs "Happy-Go-Lucky" – einen Film, der zwischen all den Geschichten über Tod, Kindesentführungen und den Folterungen von Abu Ghraib den Blick auf Not zwar nicht verschließt, aber den Zuschauer trotzdem glücklich aus dem Kino entlässt.

Zwei Filme über Kindesentführungen, dysfunktionale Familien und Ehekrisen, der brutale Kampf einer brasilianischen Eliteeinheit gegen das Drogengeschäft ("Tropa de Elite"), Reflexionen über Vergänglichkeit und Tod in Isabel Coixets Philip Roth-Adaption "Elegy" und Doris Dörries "Kirschblüten" – Viel zu lachen hat man bei der 58. Berlinale bislang nicht, auch nicht bei Errol Morris, der in seinem Dokumentarfilm "S.O.P. – Standard Operating Procedure" die Geschichte der Folterungen von Abu Ghraib ausgehend von den berüchtigten Fotos mittels Interviews mit den fotografierenden und fotografierten Soldaten wie Lynndie England sowie anderen Beteiligten akribisch nachzeichnet.

Viel Raum überlässt Morris den Tätern, die kaum Reue zeigen und sich immer wieder darauf hinaus reden, dass sie nur Befehle ausführten. Morris entschuldigt ihr Verhalten keineswegs, macht aber deutlich, dass mehr als diese Individuen die Institution "Armee" an den Vorgängen schuld war. So weitet sich "S.O.P" zu einem Film über und einem Angriff auf die Armee im allgemeinen. Zumindest problematisch ist dabei aber wie schon bei Morris´ Robert McNamara-Film "The Fog of War", dass "S.O.P." ganz in der Täterperspektive verharrt, sich nur für diese interessiert und den Opfern gegenüber so kalt bleibt wie die Täter.

Auf der zweiten Ebene ist dies aber auch ein Film über die Macht von Bildern und den Interpretationsspielraum, den sie – auch durch die mögliche Veränderung des Bildausschnitts - bieten. So bestechend Morris allerdings mit dem Fotomaterial arbeitet und so brillant seine Interviews sind, so geschmacklos ist in ihrer Überinszenierung und Ästhetisierung die Nachinszenierung einzelner Szenen: Wenn zum Bericht vom Tod eines Häftlings in Zeitlupe fallende Bluttropfen, zum Bericht eines Schusswechsels wieder in Zeitlupe fallende Patronenhülsen gezeigt werden, ein Plastiktisch effektvoll zu Bruch geht oder eine kurze Meldung, dass Saddam Hussein ein Spiegelei kochte, zu einem großen Effekt hochstilisiert wird. – Zugekleistert werden diese Bilder zudem mit einer auf die Dauer ebenfalls schwer zu ertragenden Musiksauce von Dany Elfman.

Dass es Terror und Folter auf der Welt gibt, weiß natürlich auch der Brite Mike Leigh und er verschließt nicht die Augen vor der Not, die es in seiner Heimat gibt. Mal begegnet die Protagonistin seines Films "Happy-Go-Lucky" einem Obdachlosen in einem verfallenen Hause – eine Szene, die sich kaum in den Film einordnen lässt -, mal macht ihr im Beruf als Volksschullehrerin ein misshandelter Schüler sorgen und dann kommt sie wieder mit dem in seinem Leben wie in seinem Auto eingezwängten Fahrlehrer nicht zurecht.

Doch ihre Lebensfreude, ihr Lachen, ihre Freundlichkeit austreiben lässt sich diese 30jährige Poppy - viel sagt der Klang dieses Namens über ihr Naturell - nicht. Noch ehe der Vorspann vorüber ist, hat der Zuschauer diese von Sally Hawkins wunderbar gespielte Frau ins Herz geschlossen. Wie sie mit ihren hochhackigen Stiefeln, mit Minirock und Netzstrümpfen durch den Flohmarkt stakst, den Diebstahl ihres Fahrrads locker hinnimmt, mit Schwester und Freundinnen eine Disco besucht, mal Trampolin springt und dann einen Flamencokurs besucht – das ist herzerwärmend und befreiend.

"Unbeschwert" heißt die Übersetzung des Titels und ganz im Gegensatz zu Leighs letztem Film "Vera Drake" oder seinem deprimierenden Meisterwerk "Naked" kommt "Happy-Go-Lucky" auch ganz unbeschwert daher. Das liegt in erster Linie an den unglaublich lustvoll aufspielenden Schauspielern, an den punktgenauen schnellen Dialogen und an Leighs phänomenalem Blick für Menschen und Szenen, dann aber auch an der perfekten Beherrschung des Erzähltempos und der ganz beiläufigen Einbettung der Geschichte in den sozialen Raum.

Eine abgeschlossene Geschichte will Leigh dabei gar nicht erzählen, vielmehr anhand einzelner Szenen Einblick in ein Leben geben und aufzeigen, wie man das Leben auch angehen könnte und man zum Glück finden könnte. – Dass die Unbeschwertheit Poppys auf Dauer funktioniert und man wirklich immer gut gelaunt sein kann, dürfte wohl Leigh selbst auch nicht glauben, aber zumindest über zwei Stunden verbreitet er gute Laune und entlässt den Zuschauer mit einem Lächeln, das noch eine Zeit lang beizubehalten sicher nicht schaden kann.