On the Train

23. Juli 2007 Walter Gasperi
Bildteil

Nicht nur "On the Road", mit Pferd oder Auto unterwegs, sind Filmfiguren seit den Anfängen des Kinos, sondern immer wieder spielte und spielt auch die Eisenbahn eine große Rolle. – Einige bruchstückhafte Notizen zu Motiven und Spielarten des "Railroad-Movie".

Der erste Eisenbahnfilm fällt beinahe mit dem Beginn der Filmgeschichte zusammen: Schon wenige Tage nach der ersten öffentlichen Filmvorführung am 28.12.1895 präsentierten die Gebrüder Lumière am 6.1.1896 ihren Kurzfilm "L´arrivée du train". Erschrocken seien Teile des Publikums aufgesprungen, als der Zug im Film direkt auf sie zufuhr. Die Bewegung, das Fahren ist wohl ein Grund dafür, dass Eisenbahnen im Kino so beliebt sind. Diese Begeisterung für die Dynamik der Dampfzüge ist beispielsweise die Grundlage so verschiedener, aber gleichermaßen herausragender Stummfilme wie Buster Keatons "The General" (1927) oder Abel Gances "La roue" (1922). Die äußere Bewegung kann dabei mit einer inneren korrelieren. So verknüpft beispielsweise auch Andrej Konchalowskj in seinem packenden Thriller "Runaway Train" (1985), in dem ein führerloser Zug mit zwei Häftlingen durch die Eiswüste von Alaska rast, furios die Psychogramme der Protagonisten mit spektakulären Actionszenen.

Andererseits bietet sich eine Zugfahrt auch für Zufallsbekanntschaften an: Auf Zeit treffen zwei Menschen auf engem Raum aufeinander, die Möglichkeiten sich selbst zu beschäftigen sind gering, so kommt man ins Gespräch. Während sich in Alfred Hitchcocks Patricia-Highsmith-Verfilmung "Strangers on a Train" (1951) daraus ein perfider Mordplan entwickelt, führt in Richard Linklaters "Before Sunrise" (1995) eine solche Begegnung zwischen einem jungen Amerikaner und einer Französin auf der Fahrt von Budapest nach Wien zu einem romantischen Nachmittag und Abend in der österreichischen Hauptstadt.

Ein weiteres Moment, das einen Zug zu einem interessanten Schauplatz für Filme macht, ist die Abgeschlossenheit des Raumes: Für die Zeit der Bahnfahrt können die Insassen nicht weg, die Zahl der Täter kann dadurch in einem Krimi wie Sidney Lumets glanzvoll besetzter Agatha-Christie-Verfilmung "Murder on the Orient Express" (1974) eng abgesteckt werden, andererseits kann ein Verbrecher seinem Opfer wie im Thriller "Narrow Margin" (1990) immer näher rücken, ohne dass diesem Fluchtmöglichkeiten offen stehen oder der enge Raum muss wie in Alfred Hitchcocks "The Lady Vanishes" (1938) Abteil für Abteil nach einer verschwundenen Person abgesucht werden.

Überhaupt spielt in den Filmen Hitchcocks die Eisenbahn oft eine nicht zu unterschätzende Rolle. In "The 39 Steps" (1935) flieht beispielsweise ein unschuldig Verdächtigter mit dem Zug und lernt dabei eine Frau kennen, die ihn schließlich unterstützt, und in "North by Northwest" (1959) nützt der Meister des Suspense eine Zugfahrt zum wohl pornographischsten Bild der Filmgeschichte: Auf eine Einstellung, in der Cary Grant Eva Marie Saint in sein Liegewagenbett zieht, lässt Hitchcock die Einfahrt des Zugs in einen Tunnel folgen.

Der Bau der Eisenbahn, die eine entscheidende Rolle bei der Eroberung und Besiedlung der USA spielte, ist dagegen wieder ein Motiv, das sich in vielen Western findet. Schon John Fords "The Iron Horse" (1924) kreist widmet sich diesem Thema, das ein zentrales Element der amerikanischen Geschichte ist, ins Negative verkehrt wird es dann freilich in Sergio Leones "C´era una volta il west" (1968), in dem die Eisenbahngesellschaft zum Inbegriff des Großkapitalismus wird, der die Kleinbürger unterdrückt. Bis in die Zeiten Leones wurde der Bau der transamerikanischen Eisenbahn im Kino aber immer wieder verklärt. Musterbeispiel für diese patriotische Geschichtsschreibung ist Cecil B. DeMilles wohl kaum zufällig kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gedrehter "Union Pacific" (1939).

Diesem Aufbruchsmythos steht in heutigen Tagen die Kritik an Neoliberalismus und der Privatisierung der Bahn gegenüber. Während Ken Loach in "The Navigators" (2001) am Beispiel eines Trupps von Bahnarbeitern nah am Leben und wie immer mit viel Engagement für die kleinen Leute die verheerenden Auswirkungen der Privatisierung von "British Rail" auf die Arbeitsbedingungen aufzeigt, kritisiert Klaus Gietinger in seiner allerdings peinlichen Komödie "Heinrich der Säger" (2001) die Stilllegung von unrentablen Nebenstrecken.

Die Eisenbahn war aber auch ein zentrales Werkzeug der Vernichtung - das Verkehrsmittel, mit dem die Nazis Millionen Juden in die Vernichtungslager deportierten. Immer wieder sieht man in Claude Lanzmanns epochalem Dokumentarfilm "Shoah" (1974-1985) Güterzüge durch das heutige Polen fahren. Geprägt hat Lanzmann damit die filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust und "Shoah" kann als Ausgangspunkt für Radu Mihaileanus bewegende Tragikomödie "Train de vie" (1998) angesehen werden. Der Deportation durch die Nazis stellt Mihaileanu eine Reise in die Freiheit gegenüber, doch diese erweist sich als Traum, als Wunschvorstellung und durfte der Zuschauer über die Filmlänge auf ein glückliches Ende hoffen, so wird er mit der letzten Einstellung auf den bitteren Boden der Realität geholt.

Aber nicht immer muss es in Eisenbahnfilmen nur um Zugfahrten gehen, manchmal geht es auch um eisenbahnbegeisterte Hauptfiguren. So entwickelt Thomas McCarthy in "The Station Agent" (2003) um einen kleinwüchsigen Mann, der ein stillgelegtes Zugdepot erbt, eine herzerwärmende Tragikomödie um drei einsame Menschen. Und in Peter Lichtefelds "Zugvögel … einmal nach Inari" (1998) geht’s sowohl um eine Zugfahrt von Deutschland nach Nordfinnland, als auch um die Zugbegeisterung, denn der Grund für die Fahrt nach Inari ist ein Wettbewerb für Eisenbahnexperten.