Theaster Gates. Black Archive

Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz ist Theaster Gates’ erste institutionelle Einzelausstellung in Europa. Der US-amerikanische Künstler erwirbt seit einiger Zeit historische Figuren, die Afroamerikaner in stereotyper Weise darstellen. Diese so genannten "Negrobilia" zeigen ergebene Diener, freundliche Mommies, tanzende Sklaven, mit dicken Lippen, krausem Haar und üppigen Pos. Gates geht es um den Blick, um projizierte und empfundene Identität. ##2Für mich dient die Sammlung als Mahner einer Geschichte und als Katalysator für ihre anhaltende Beschäftigung mit ihr."

Auch eine kleine Babypuppe gehört zu dieser Sammlung, die Edward J. Williams vor dreißig Jahren anzulegen begann und die Theaster Gates später erwirbt, um die Objekte der Öffentlichkeit und weiterem Kursieren zu entziehen. Diese nur wenige Zentimeter große, halslose Figur erscheint im Kunsthaus Bregenz als eine ins Überdimensionale vergrößerte Arbeit. Der Kopf, nachgeschnitzt und schwarz getüncht, liegt auf die Wange gedreht auf einem raumfüllenden Teppich. Er nimmt das Muster der Stickerei auf. Das Original ist eigentlich ein Steckkissen. Auch Perle und gelbe Schlaufen sind Nacharbeitungen der erniedrigenden Nippesfigur.

Zusätzlich ist das von Theaster Gates bearbeitete Video eines Films mit Shirley Temple aus dem Jahr 1935 zu sehen. Der blond gelockte Kinderstar erhielt im Alter von sechs Jahren den Juvenile Award, einen Oscar für Kinderdarsteller. In einer berühmten Szene des Films "The Littlest Rebel" tanzt Uncle Billy, der schwarze Schauspieler Bill "Bojangles" Robinson, auf einer Treppe, das weiße Mädchen folgt seinen virtuosen Schritten. In einer anderen Szene steppen beide auf der Straße, um Geld zu verdienen. Immer wieder sind die Szenen von Blackouts unterbrochen. Es geht um die Frage, was "Schwarzsein" bedeutet und welche Formen und Konnotationen die weiße Welt ihm zuordnet und zugeordnet hat.

Im ersten Obergeschoss zeigt Gates eine Reihe von Teer-Arbeiten, die rohe Dachdeckermaterialien einbeziehen. Die überwiegende Zahl der gezeigten Arbeiten hat Theaster Gates eigens für die KUB Ausstellung in Vorarlberg produziert. Zäh fließt das sämige Material über seinen Träger. Die schwarze Malerei versteht Gates als "Malerei über Schwarze" (Paintings about black people). Als matte Ikone und dunkle Anklage zeigen sich die Bilder. Ihre zum Teil mächtigen Formate wurden mit flüssigem Teer auf dem Träger befestigt. Aus den Nähten quillt die zähe Masse. Eine Struktur von Parallelen bildet sich. Auch Aluminiumfolien und Gummiplanen sind Materialien, die beim Dachbau verwendet werden. Sie dienen der Versiegelung, der Abweisung von Wind, Wetter und Wärme.

Ein wichtiger Aspekt in Theaster Gates’ Arbeit ist die Erhaltung, Umformung und Archivierung von Objekten. Als Teil der Ausstellung werden historische Ausgaben der afroamerikanischen Magazine Ebony und Jet in Zusammenarbeit mit den Vorarlberger Buchbindern Otto Hofer und Manfred Keckeisen live im Kunsthaus zu Büchern gebunden. Zum Auftakt am 23. April um 14 Uhr wird dieser Prozess durch ein A-cappella-Konzert des Künstlers begleitet. Die Buchbinder kommentieren murmelnd ihr Tun, Gates begleitet das Handwerk singend.

Im zweiten Obergeschoss ordnet Theaster Gates die chronologisch in verschiedene Farben gebundenen Jet-Magazine zu großen Quadraten. Diese Werkserie entsteht ebenfalls in Bregenz. Jet-Magazine sind kleinformatige Zeitschriften, Versionen des Readers Digest für schwarze Leser/innen. Sie sind das Gegenbild zu den herabwürdigenden Figuren und Darstellungen durch eine weiß dominierte Kultur und Medienindustrie. Gates sammelt sie und lässt sie binden, um sie zu bewahren. Jede Farbe entspricht einem Jahrzehnt. Spontan entwickelt sich in Bregenz, die Bücher in Anlehnung an Josef Albers Bilderserie "Homage to the Square" zu ordnen. Albers ist Bauhausschüler, muss 1933 in die USA flüchten und gehört zu den einflussreichsten Lehrern am Black Mountain College. Ebenfalls im zweiten Obergeschoss ist eine Statue des hl. Laurentius ausgestellt. Die Figur stammt aus einer verlassenen Kirche, die sich neben dem Atelier von Gates in Chicago befindet.

"Dancing Minstrel" im dritten Obergeschoss ist eine rassistisch gestaltete Figur aus den burlesken Revuen des 19. Jahrhunderts. Gates hat die von ihm geschaffene Kopie auf mehr als vier Meter vergrößert. Angefertigt wurde die Figur vom Bregenzerwälder Holzschnitzer Wendelin Hammerer. Sie baumelt von der Decke. Um die interaktive Skulptur in Bewegung zu versetzen und sie tanzen zu sehen, müssen die Besucher/innen selbst tanzen und auf diese Weise die Feder, an der die Figur herabhängt, aus dem Gleichgewicht bringen. Dabei begeben sich die Betrachtenden und Tanzenden selbst in die Rolle der peinlichen Veralberung und Zurschaustellung eines Götzenbildes.


Theaster Gates. Black Archive
23. April bis 26. Juni 2016