Nicht zuletzt um der Diskriminierung der Textilkunst ein Schnippchen zu schlagen, kombinieren Künstlerinnen textile Techniken wie weben, nähen, stricken, sticken mit nichttextilen Materialien. Das alljährlich im Herbst eine "Kunst Textil"-Ausstellung zeigende "Aarbergerhus" in Ligerz im Berner Seeland hat diesen Aspekt zum Thema der Ausstellung "Lust auf Mehr!" gemacht.
Sechs Schweizer Künstlerinnen zeigen im Haus der einstigen "Herren von Aarberg", das heute eine Stiftung ist, textile Arbeiten ohne einen einzigen Faden. Sich subtil mit dem Raum auseinandersetzend, mit Ironie traditionell Erwartetes unterlaufend, Modewörter wie "Netzkunst" wörtlich nehmend usw. Mit von der Partie sind Künstlerinnen mehrerer Generationen. Unter ihnen die eigentliche Pionierin in Sachen textiler Techniken mit nichttextilen Materialien, die St. Gallerin Lucie Schenker (geb. 1942), die schon 1989 mit voluminösen, gestrickten Draht-Skulpturen auf der legendären Übersichtsausstellung zur Schweizer Eisenplastik, der "Eisen 89" in Dietikon, vertreten war. Konsequent weitete sie die Idee der transparenten Raum-Skulptur später mit Maschennetz-Raumkörpern, von denen sie nun Beispiele in Ligerz zeigt.
Dass ausgerechnet in einem kleinen Winzerdorf am Bielersee im Schweizer Seeland ein Zentrum für künstlerisches Schaffen im Umfeld des Textilen entstanden ist, hat einen klaren Hintergrund. Am Jurahang oberhalb des Dorfes, wohnte während mehr als 60 Jahren die Schweizer Textilkunst-Pionierin Elsi Giauque (1900 – 1989). Sie führte zum einen als Nachfolgerin von Sophie Täuber-Arp in Zürich Heerscharen von Studentinnen in die Textilkunst ein und wurde zum andern ab den frühen 1960er-Jahren zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen der internationalen Textilkunst-Biennalen von Lausanne. Ihr Nachlass ist nach wie vor auf der "Festi" ob Ligerz und so sind denn die Herbstausstellungen unter dem Titel "Kunst Textil" immer auch eine Hommage an die Künstlerin Elsi Giauque.
Hommage nicht im Sinne von Nachfolge, sondern im Sinne neuer Tendenzen in der Gegenwart. Erinnerten einmal junge Modedesignerinnen an die Haute-Couture-Zeit von Elsi Giauque, ein ander Mal zeitgenössische Künstlerinnen, die mit textilen Materialien arbeiten, wie vielfältig heute eingesetzt wird, so war es 2006 Elsi Giauque selbst, die mit ausgewählten Raum-Arbeiten im Zentrum stand. Heuer nun durchbrechen Künstlerinnen das Material Textil, nicht aber die Denkweise textilen Gestaltens. Die Zürcherin Verena Sieber-Fuchs (geb. 1943) ist darin eine Meisterin; ob Orangenpapierchen, Zwiebel- oder Knoblauchblätter, Uhrenrädchen oder gar Knallfrösche, alles verwandelt sie nähend, häkelnd, strickend zu ebenso verführerischen wie fragilen "Colliers", "Hütchen" oder "Kissen"; die Grenzen zur Kunst allseits mit Raffinesse und äusserst bewusst an ihren Rändern kratzend.
Auch die Bielerin Verena Lafargue (geb. 1951) sprengt das Cliché der Textilkunst gleich doppelt und dies radikal: Von der These ausgehend, dass Tapeten historisch gesehen "demokratisierte Tapisserien" sind, spielt sie mit gedruckten Mustern, die im Raum zu rhythmischen Ornamenten kombiniert werden. Doch damit nicht genug, die Druck- Muster basieren auf Performance-Fotos, welche die Künstlerin in aussergewöhnlichen Stoffen zeigen, welche sie am PC horizontal/vertikel verwoben hat.
Eine gute Prise Humor gehört auch zur Arbeit der Luzerner Künstlerin Regula Bühler-Schlatter (geb. 1951). Sie treibt eine Eigenschaft der Acrylfarbe auf die Spitze; diese lässt sich nämlich mit entsprechendem Geschick so in die Länge ziehen, dass sie zum Faden wird. Damit lässt die Künstlerin ganze Modekollektionen entstehen oder stellt, einem Set von Farbtuben gleich, Bündel verschiedenfarbiger Malfäden bereit.
Inhaltlich lassen sich die verschiedenen Arbeiten nicht auf einen Nenner bringen; entsprechend ist auch die Inszenierung der Ausstellung nur im grossen Saal mit den alten, weiss gekalkten Mauern dialogisch aufgebaut, während die anderen Künstlerinnen ihre künstlerischen Gestaltungswelten in je eigenen Räumen zur Darstellung bringen. Dennoch sind die Rhythmen des Webens, real und gemalt, das Falten von "Stoffen", das Ineinandergreifen von Schlaufen, seien sie aus Draht oder Zündschnüren, das Mäandern von Acrylfäden und Filmstreifen (Fränzi Neuhaus) durchaus als sich verbündende Struktur wahrnehmbar.
Annelise Zwez
Lust auf Mehr!
20. bis 30. September 2007
Eröffnung: Mi 19. Sept 07, 19 Uhr
Stiftung Aarbergerhus
CH 2514 Ligerz / Bielersee
T 0041 (0)32 3157520
Öffnungszeiten:
Mo bis Fr 15 - 18 Uhr
Sa und So 12 - 18 Uhr