Textil und Keramik – zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Materialien – haben vieles gemeinsam: Sie verbindet eine haptische Formensprache, die zwischen hart, sperrig, weich und fließend changiert. Textilien, die sich skulptural verdichten, assoziieren wir mit Wärme und Flexibilität. Sie kontrastieren mit der kühlen Fragilität der aus weichem Ton oder Lehm geformten Keramik. Diesem faszinierenden Wechselspiel geht die MAK Ausstellung "Hard/Soft. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst" nach und zeigt Werke von rund 40 internationalen Künstler:innen, von denen viele erstmals in Wien zu sehen sind. Materialien, Formen und Bedeutungen der ausgewählten Arbeiten eröffnen ein breites Spektrum von Ambivalenzen, Unschärfen und Gleichzeitigkeiten, die auch Gender-Zuschreibungen auflösen.
In allen Kulturräumen präsent, sind Textil und Keramik eng mit der angewandten Kunst verbunden und symbolisieren die Gemeinschaft. Oft werden die Arbeiten gemeinschaftlich in Ateliers, Werkstätten und Kollektiven produziert. Die Materialien und Herstellungsprozesse stehen in Zusammenhang mit unterschiedlichen Gruppen und Communities. In der zeitgenössischen bildenden Kunst ermöglichen Textil und Keramik interdisziplinäre Synergien, die die Grenzen zu Architektur, digitaler Kunst, Musik, Performance und Tanz öffnen.
In der Ausstellung werden handwerkliche Techniken und zugeschriebene Materialeigenschaften genauso beleuchtet wie gesellschaftspolitische und feministische Anliegen. Als materielle und kulturelle Bedeutungsträger sind die beiden Medien in ökonomische und politische Systeme eingeschrieben. Sie eignen sich daher besonders, Themen der kulturellen Aneignung oder postkoloniale Ansätze aufzugreifen. Die alltäglichen Materialien fungieren hier als Barometer und Spiegel unserer Zeit. Wie Anni Albers (1899–1994), eine der bedeutendsten Protagonist:innen der Avantgarde, in ihrer Studie "On Weaving" (1965) beschreibt, lassen sich durch die Verknüpfung natürlicher und künstlicher Formen in einer Landschaft Vergleiche zum gewebten Muster, zu Materialien, Strukturen des Textilen ziehen. Darüber hinaus wird die Bedeutung des Textilen in kulturellen und geopolitischen Zusammenhängen veranschaulicht.
Prägende künstlerische Positionen werden in der Ausstellung mit Arbeiten einer jungen Künstler:innengeneration zusammengebracht. So spannen diese beispielsweise einen Bogen zur ikonischen Rauminstallation "Hôtel du Pavot, Chambre 202" (1970/73) der amerikanischen Künstlerin Dorothea Tanning (1910–2012). Tanning schuf eine surrealistische Szenerie aus Figuren, die – im Modus der Soft Sculpture – aus den Wänden, dem Mobiliar und dem Kamin hervortreten.
Durch die Verwendung von weichen, flexiblen Materialien führt die Soft Sculpture zur Erweiterung der Grenzen der Bildhauerei und des Textilen. Seit den 1960er Jahren verhandeln Künstler:innen dabei Fragen zu Feminismus, Körperlichkeit und Geschlechterrollen. So webt die polnische Künstlerin Magdalena Abakanowicz (1930–2017) ihre skulpturalen Arbeiten aus Sisal und transformiert das zweidimensionale Format traditioneller Wandteppiche, indem sie frei im Raum hängende, gebogene expressive Formen entwickelt. Das Werk von Sonia Gomes (* 1948) wiederum ist von den Traditionen, Narrationen und Materialien der afrobrasilianischen Kultur beeinflusst. Sie verdreht, näht und verknotet gebrauchte Stoffe, die Spuren der Geschichte offenlegen. Ihre Skulpturen erzeugen eine Körperlichkeit und Dynamik, die ihrer Affinität für brasilianische Tänze zuzuschreiben ist. Bewegung, Tanz und Musik spielen auch in den Quilts der israelischen Künstlerin Noa Eshkol (1924–2007) eine Rolle.
Globale Handelsströme und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus finden im Textilen eine Ausdrucksform. Das geometrische Muster des Wandteppichs "Repository" (2020) der kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga (* 1978) wird durch Farbflächen in verschiedenen Erdtönen erzeugt. Die eingenähten Reiskörner aus Glas verweisen auf die Migration bestimmter Reissorten von Afrika nach Amerika während des transatlantischen Sklav:innenhandels. Der niederländische Künstler Willem de Rooij (* 1969) bringt in seiner eigens für die Ausstellung entwickelten konzeptuellen Arbeit zwei Shirwan-Teppiche zusammen, die sich in den Sammlungen des MAK und des Rijksmuseum in Amsterdam befinden, und vermittelt hier die Überlieferung von lokaler Formensprache und Handelswegen.
Seit der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts eignen sich zeitgenössische Künstler:innen traditionelle Techniken wie Sticken, Nähen, Knüpfen, Weben oder Töpfern an und unterwandern disziplinäre und materielle Grenzen. Beispielsweise bereitete das Weben am Webstuhl mit Lochkarten, mit denen jedes beliebige Muster generiert werden konnte, schon vor mehr als 200 Jahren Computerprogramme und den digitalen Raum vor.
Dass das Textile eng mit Architektur verwoben ist, verdeutlichte bereits Gottfried Semper (1803–1879) in seiner Bekleidungstheorie, die ein textilumspanntes Gerüst als Urmodell des Gebäudes definiert. Der deutsche Künstler Franz Erhard Walther (* 1939) überschreibt in seinen Werken mittels der Prinzipien des Minimalismus und des ephemeren textilen Materials traditionelle Vorstellungen von Malerei, Skulptur und Architektur im Wechselspiel zwischen Innen und Außen unter Einbeziehung der Betrachter:innen als Akteur:innen.
Textil und Keramik sind im Innen- und Außenraum miteinander verschränkt. Ton ist der plastische "Urstoff", so Semper, und ein archaischer wie moderner Werkstoff für Alltagsgegenstände. Traditionelle Keramiktechniken werden von vielen Künstler:innen verwendet, um abstrakte oder figurative Skulpturen mit formal unterschiedlichen Ansätzen zu entwickeln. Die britisch-nigerianische Künstlerin Ranti Bam (* 1982) beispielsweise experimentiert mit traditionellen Tongefäßen, die sie monumental vergrößert und mit den Dimensionen des menschlichen Körpers in Beziehung setzt. Die Objekte der britischösterreichischen Künstlerin Lucie Rie (1902–1995) brachten erstmals eine moderne Formensprache in die Keramik, indem sie mit Experimentierfreude formal reduzierte Objekte schuf, die weit über die Gebrauchskeramik hinausgingen. Die Keramikskulpturen von Beate Kuhn (1927–2015) orientieren sich oft an der Natur, während Michèle Pagel (* 1985) die Widersprüche alltäglicher Lebenswelten untersucht. Ein herausragendes Beispiel für die künstlerische Auseinandersetzung mit matriarchalen Traditionen und Ritualen sind die archaischen, skulpturalen Keramik-Objekte der polnischen Künstlerin Agnieszka Brzeżańska (* 1972).
Die Entwicklung des Flechtens und Webens begann mit der handwerklichen Verarbeitung von Materialien aus der Natur – Grashalme und Pflanzenfasern, wie Gottfried Semper in seiner praxisorientierten Publikation Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (1860) analysiert. Die künstlerische Erkundung von Textil und Keramik spiegelt das interdisziplinäre Konzept des MAK wider – basierend auf der historischen Gliederung der Sammlung nach Materialien in der Tradition von Semper.
Zu den Künstler:innen der Ausstellung zählen Magdalena Abakanowicz, Hildegard Absalon, El Anatsui, Anna Andreeva, Ranti Bam, Maria BiljanBilger, Cosima von Bonin, Geta Brătescu, Agnieszka Brzeżańska, Verena Dengler, Noa Eshkol, Gelatin, Sonia Gomes, Nilbar Güreş, Sheila Hicks, Klára Hosnedlová, Dorota Jurczak, Kapwani Kiwanga, Peter Kogler, Beate Kuhn, Denisa Lehocká, Goshka Macuga, Jonathan Meese, Hana Miletić, Małgorzata Mirga-Tas, Robert Morris, Ann Muller, Ulrike Müller, Michèle Pagel, Lucie Rie, Willem de Rooij, Camila Sposati, Laurence Sturla, Dorothea Tanning, Rosemarie Trockel, Franz Erhard Walther und Ingrid Wiener.
Hard/Soft
Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst
Bis 20. Mai 2024