Geschichte, Erinnerung und Einfühlung, Naturgewalten und Menschenspuren sind die Themen im Werk Tacita Deans, eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart. Ihr Werk umfasst eine Vielzahl von Medien, am bekanntesten ist sie jedoch für ihre Auseinandersetzung mit dem photo-chemischen Film. Als Teil der Gruppenausstellung "Remind..." mit Eija-Liisa Ahtila, Anri Sala sowie Jane und Louise Wilson war sie bereits 2003/2004 im Kunsthaus Bregenz.
Im Erdgeschoss des Kunsthaus Bregenz treffen die Besucher/innen auf zwei monumentale Kreidezeichnungen. Für "The Montafon Letter" (2017) ließ sich Tacita Dean von einer historischen Geschichte inspirieren: Ein Lawinenabgang im 17. Jahrhundert erschüttert das Montafon, ein Bergtal im Süden Vorarlbergs. Der Legende zufolge wird der Geistliche, der die Toten segnet, von einer zweiten Lawine verschüttet und von einer dritten wieder freigelegt.
Dean hat für die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz ein zweites monumentales Bild mit dem Titel "Chalk Fall", 2018, geschaffen. Ebenfalls mit Kreide gemalt, zeigt dieses Werk den Einsturz einer Kreideklippe. Die Weißtöne der Kreide spiegeln den weißen Lawinendunst in "The Montafon Letter". Himmel und Gebirgskämme, Kräfte und Klüfte, Weiten und Düsternis erinnern an John Constable und William Turner, die großen Künstler der englischen Landschaftsmalerei. Doch mit kleinen, handschriftlichen Notizen auf der Bildoberfläche erfassen Deans Arbeiten auch die Dimension des Menschen.
Verteilt auf die drei Obergeschosse zeigt die umfangreiche Ausstellung im Kunsthaus Bregenz drei ihrer wichtigsten Filmarbeiten. Tacita Deans aktuellstes und aufwendigstes Filmprojekt "Antigone", wurde im Frühjahr 2018 in der Royal Academy in London erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Sie war eine von drei Ausstellungen, die gleichzeitig auch in der National Gallery und in der National Portrait Gallery zu sehen waren – ein beispielloser Zusammenschluss der Institutionen.
Im KUB wird die Arbeit, eine einstündige, synchronisierte Projektion von zwei 35-mm-Filmen, im 1. Obergeschoss gezeigt. Sie entführt in das Bodmin Moor in England, zum Yellowstone-Nationalpark und gleichzeitig in die Savannen von Wyoming, um dort eine seltene Sonnenfinsternis einzufangen. Dean imitiert die Bewegung des Mondes und deckt jedes einzelne Bild des Filmstreifens teilweise ab. So kommen durch die Mehrfachbelichtung unterschiedliche Orte und Zeiten gleichzeitig zusammen, so wie persönliche Gedächtnisbilder, gegenwärtige Erlebnisse und Mythen einander durchdringen. Es ist eine Hommage an die mythische Figur Antigone, Tochter des Ödipus, die ihren blinden, gebrechlichen Vater durch die Wildnis führt. Antigone ist zudem der Name von Tacita Deans Schwester.
Im verdunkelten zweiten Obergeschoss leuchten sechs Leinwände der Filminstallation "Merce Cunningham performs STILLNESS…", 2008. Die Arbeit ist Teil einer Serie filmischer Künstler/innen-Porträts darunter David Hockney, Julie Mehretu, Claes Oldenburg und Cy Twombly. Der Tänzer Merce Cunningham performt darin das Stück seines Partners John Cage "4’33”", ein Musikstück, das ohne Ton die Stille feiert. Für jeden Satz des dreiteiligen Stücks nimmt Cunningham eine andere Pose ein. Es ist der greise Körper des Tänzers, den wir wahrnehmen, seine gedanken-volle Konzentration, seine gelassene Ruhe. Merce Cunningham stirbt 90-jährig im Jahr 2009.
Im dritten Obergeschoss ist das 2011 für die Turbinenhalle der Tate Modern konzipierte Werk "FILM" zu sehen – ein Porträt des Medium Film schlechthin. Mit alten Techniken des Films wie Abdeckmasken, Kulissenmalerei auf Glas und handgefertigten Kolorierungen spürt Dean seiner Materialität nach, seiner Atmosphäre und seiner Prosa. "FILM" produzierte sie 2011 im Rahmen der Unilever Series der Tate Modern. Das in der Turbinenhalle gezeigte Werk kennzeichnet den Beginn ihrer Kampagne für den Erhalt des photochemischen Films (www.savefilm.org)
Tacita Dean wurde 1965 in Canterbury, Großbritannien, geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Los Angeles. Deans Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet — darunter der Hugo Boss Preis (2006), der 6. Benesse-Preis der 51. Biennale in Venedig (2005), und der Kurt-Schwitters-Preis für Bildende Kunst (2009). Zu ihren Einzelausstellungen zählen Präsentationen in zahlreichen international renommierten Museen, unter anderem: Tate Britain, London, MACBA, Barcelona (2001), Schaulager, Münchenstein/Basel (2006), Solomon R. Guggenheim Museum, New York (2007), Fondazione Nicola Trussardi, Mailand (2009), MUMOK, Wien (2011), New Museum, New York (2012), Instituto Moreira Salles, Rio de Janeiro (2013), Fundación Botín, Santander (2013), Australian Centre for Contemporary Art, Melbourne (2013), Statens Museum for Kunst, Kopenhagen (2014), TIFF Bell Light Box, Toronto (2015), Espace Louis Vuitton, München (2016), Museo Tamayo, Mexiko-Stadt (2016), National Portrait Gallery, The National Gallery & Royal Academy of Arts, London (2018).
Ihre Arbeiten wurden außerdem auf der dOCUMENTA (13), Kassel (2012), der 55. Biennale in Venedig (2013) sowie bei der Biennale of Sydney (2014) gezeigt.
KUB Publikation Tacita Dean
In ihren Filmen, Fotografien und akustischen Werken arbeitet Tacita Dean mit Stille, Zeit und Entropie, um typisch menschliche Grundbefindlichkeiten zu beschreiben. Im Kunsthaus Bregenz zeigt die konzeptuell arbeitende Künstlerin als neueste Arbeiten monumentale Kreidezeichnungen auf Schiefertafeln — mit diesem Zyklus knüpft sie an weit in die Kunstgeschichte reichende Materialien und Motive an und formuliert zugleich zeitlos gültige Zeichen. Zusammen mit Tacita Dean wird das KUB ein Künstlerbuch herausgeben. Grafische Gestaltung: Martyn Ridgewell, Deutsch / Englisch; Erscheinungstermin: Dezember 2018
Tacita Dean
20. Oktober 2018 bis 6. Januar 2019