Street view in der Frühen Neuzeit

Ansichten von Städten und Landschaften aus der Vogelschau sind in digitalen Zeiten eine Selbstverständlichkeit. Wenig bekannt ist hingegen, welche technischen Hilfsmittel Künstlern oder Kartographen vor der Erfindung des Flugzeugs zur Verfügung standen, um Orte oder ganze Landstriche aus einer Perspektive von oben maßstabsgetreu darzustellen. Ein immenses Wissen in den Bereichen Geometrie und Vermessungskunde sowie großes Talent in der bildlichen Wiedergabe räumlicher Gegebenheiten waren die Voraussetzung für diese Verbindung von Kunst und Wissenschaft.

Eine gemalte Ansicht der Stadt Wangen (1611) und die großformatige Wangener Landtafel (1617) sind herausragende Beispiele für diese Kunstgattung. Geschaffen wurden beide Werke von Johann Andreas Rauch (1575 – 1632), der sich technischer Geräte wie Kompass, Schritt- und Winkelmesser bediente. Aus einer Vielfalt von Daten und aus dem persönlichen Augenschein wurden die Vogelschaubilder regelrecht konstruiert.

Der Ruf des begabten Kartenmalers verbreitete sich schnell in Süddeutschland, und Aufträge aus höchsten Adelskreisen belegen das Interesse der Mächtigen an seinen Werken. Denn was messbar war, wurde beherrschbar, und so wurden die Kartengemälde zu Herrschaftsinstrumenten. Sie besaßen juristische Beweiskraft und betrafen das Forst- oder Jagdrecht, die Steuerberechnung oder Gerichtsbarkeiten. Der Künstler ließ es sich nicht nehmen, in mehrere seiner Tafeln eine große Anzahl genrehafter Szenen und Aussprüche aufzunehmen. Sie zeugen vom Witz des Malers, von seiner Lust am Erzählen und seiner Weigerung, sich sklavisch an die Nüchternheit des Kartengeschäftes zu halten. Die Forschung ist sich heute einig, dass Rauchs Landtafeln zu den bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiet der Feldmesskunst um 1600 in Süddeutschland gehören.

Viele Jahre lang war Rauch als Stadtmaler in Wangen mit den unterschiedlichsten Aufträgen beschäftigt. Eine Ausstellung vom 19. Juli bis zum 19. Oktober 2014 in Wangen ermöglicht erstmals einen Überblick über das Gesamtwerk und würdigt die hochspannende Biografie des vielseitigen Malers. Exponate aus der Lebenswelt der bewegten Zeit vor und während des Dreißigjährigen Krieges weisen über das Einzelschicksal Rauchs zwischen Glanz und Elend hinaus.


Johann Andreas Rauch 1575 – 1632
Kunst und Kartographie
19. Juli bis 19. Oktober 2014