Stoische Einzelkämpfer: Zum 100. Geburtstag von Budd Boetticher

25. Juli 2016 Walter Gasperi
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Über den Stierkampf kam Budd Boetticher zum Film, erneuerte in den 1950er Jahrem mit dem legendären "Ranown-Zyklus" den Western, ehe er an den Dreharbeiten zu einem Film über den mexikanischen Stierkämpfer Carlos Arruza in den 1960er Jahren zerbrach. Am 29. Juli wäre dieser Meister den Minimalismus und der Lakonie 100 Jahre alt geworden.

Als Oscar Boetticher jr. in Chicago als Sohn eines Geschäftsmannes geboren brillierte Budd Boetticher als Sportler an der Ohio State University und ging 1936 nach Mexiko, wo ihn die Leidenschaft für den Stierkampf packte. Vom Stierkämpfer Carlos Arruza ließ er sich zum Matador ausbilden, weshalb ihn Darryl F. Zanuck, der Chef von 20th Century Fox, 1941 als technischen Berater für Rouben Mamoulians Stierkämpferfilm "Blood and Sand" beizog.

In den Studios seines Schulkameraden Hal Roach ließ sich Boetticher anschließend zum Regieassistenten ausbilden, arbeitete für George Stevens und Charles Vidor und drehte ab 1944 über sechs Jahre B-Movies. Ein Trainingsfeld war dies, um seinen Stil zu entwickeln: Mit kleinem Budget drehte er in kurzer Zeit schnörkellose und kompakte Krimis und Western, ehe er mit dem autobiographisch beeinflussten Stierkkämpferfilm "The Bullfighter and the Lady" (1951) seinen ersten Film mit größerem Budget - und ein lange verkanntes Meisterwerk - drehte.

Der Erfolg dieses Films brachte Boetticher einen Vertrag bei Universal, wo er mit größeren Budgets und Stars arbeiten konnte, aber in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt wurde und eine Reihe von Filmen drehen musste, die ihn im Grunde nicht interessierten. Von diesen Zwängen befreien konnte er sich ab 1956 mit den fünf Western, die von Joseph Brown und Randolph Scott produziet wurden, die ihre Produktionsfirma durch Verschmelzung ihrer Namen "Ranown" nannten, sowie mit "Seven Men From Now" (1956) und "Westbound" (1959), die für John Waynes Batjac-Firma gedreht wurden.

Kaum mehr als jeweils 70 Minuten lang sind diese beiden Western sowie "The Tall T" (1957), "Decision at Sundown" (1957), "Buchanan Rides Alone" (1958), "Ride Lonesome" (1959) und "Comanche Station" (1960). 12 bis 18 Drehtage reichten Boetticher für einen Film, ein gleich bleibendes Team und der gleiche Schauplatz sorgten für Kohärenz: Burt Kennedy schrieb die Drehbücher, die Hauptrolle spielte der kantige Randolph Scott, der sich nie zu einem Gesichtsausdruck hinreißen lässt, und gedreht wurde nicht im Studio, sondern "on location" in der Wüstenregion um das kalifornische Lone Pine.

Schon der Schauplatz verleiht diesem Film-Zyklus Kargheit: Braune Felsen und Sand unter strahlend blauem Himmel kennzeichnen die Szenerie. Die eine oder andere Postkutschenstation oder eine Kleinstadt sind die einzigen Orte, die hier von menschlicher Zivilisation künden.

Wie der Raum förmlich leergefegt ist, so sind die sich wiederholenden Geschichten aufs Wesentliche reduziert, von seltener Klarheit und Einfachheit: Im Mittelpunkt steht ein wortkarger einsamer Cowboy, der Rache für erlittenes Unrecht üben will. Nicht getrieben, sondern gelassen geht er ans Werk und verlässt am Ende den Schauplatz vielleicht innerlich gelöst, aber äußerlich so allein wie er gekommen ist.

Wenige Figuren gruppiert Boetticher um diesen "Lonesome Rider", die ihn teils unterstützen, ihn teils aber auch beseitigen wollen. Moralische Grenzen von Gut und Böse lösen sich dabei auf und auf den Ritten durch die Wüste – äußere Bewegung korrespondiert hier immer mit einem Wandel der Beziehungen - nähern sich die zunächst scheinbar konträren Figuren einander.

Geredet wird nur wenig. Die Männer – in einer zentralen Nebenrolle tritt meist eine Frau auf – definieren sich über die Tat. Für Psychologisieren ist ebenso wenig Platz wie für Gefühlsduselei. Nicht zu kurz kommt dafür ein feiner Humor.
Das Innere wird - wenn überhaupt - durch die äußere Aktion sichtbar und in der Verschmelzung von Landschaft und Figuren gewinnen diese Western existentialistische Züge. - Nicht von ungefähr schrieb Fritz Göttler, Filmredakteur der Süddeutschen Zeitung über "Seven Men from Now" (1956): "Boettichers Film ist für die amerikanische Gesellschaft von der gleichen Bedeutung wie ein paar Jahre früher Becketts "Warten auf Godot" es war im Nachkriegseuropa."

Am Höhepunkt seiner Karriere stand Boetticher mit dieser Serie und mit dem Gangsterfilm "The Rise and Fall of Legs Diamond" (1960), der auch in der Schwarzweißfotografie an die Genre-Klassiker der frühen 1930er Jahre anknüpfte, gelang ihm ein weiteres Meisterwerk. Darauf folgende lukrative Projekte schlug er aber aus und ging in sein Traumland Mexiko, um einen Film über seinen Freund und Stierkämpfer-Lehrmeister Carlos Arruza zu drehen.

Sieben Jahre zog sich die Arbeit an diesem Projekt hin, nicht nur Boettichers Ehe zerbrach daran, sondern auch er selbst ging bankrott und landete, nachdem sein Protagonist und ein Teil der Crew bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, nach einem psychischen Zusammenbruch in einer Nervenheilanstalt.

Erst 1972 konnte dieser Dokumentarfilm fertiggestellt werden. Erst um die 50 war Boetticher während der Arbeit an "Arruza" drehte nach diesem Desaster aber nur noch den Western "A Time for Dying" (1969) und 16 Jahre später das Dokumentardrama "My Kindgom For" (1985), in dem Film mit Video gemischt wird.

Vom Kino zog er sich weitgehend zurück, widmete sich der Pferdezucht und wurde in den 1970er Jahren auch von der Öffentlichkeit weitgehend vergessen. Erst in den 1980er Jahren setzte seine Wiederentdeckung ein und 1995 wurden ihm beim Filmfest München und bei der Viennale große Retrospektiven gewidmet, ehe er am 29. November 2001 in Ramona, Kalifornien im Alter von 85 Jahren starb.

Dokumentation über Budd Boettichers Western (10 Minuten, englisch)