Stille Orte mit Stil - "Perfect Days" von Wim Wenders

25. November 2023 Felix Kalaivanan —
Bildteil

Cannes ist nicht nur für Touristen, sondern auch für viele Filmschaffende ein Sehnsuchtsort. Wim Wenders kennt die Gemeinde an der Côte d’Azur gut, war er doch im Lauf seiner 50-jährigen Karriere doch immer wieder mit seinen Werken eingeladen. Wie oft war er denn genau mit seinen Filmen in Cannes eingeladen? 15, 16 oder 17 Mal? Auch Wenders selbst weiß es nicht mehr exakt. Im Jahr 1984 jedenfalls gewann er mit "Alice in den Städten" die goldene Palme und startete seinen internationalen Durchbruch. Im Jahr 2023 präsentierte der mittlerweile 78-Jährige gleich zwei Filme an der Croisette und zeigte so erneut seine Doppelbegabung im Spiel- und Dokumentarfilm auf.

Die 3-D-Doku "Anselm – Das Rauschen der Zeit" über den deutschen Maler Anselm Kiefer kommt bombastisch und mit großen technischen Aufwand daher, wie nebenbei und zwischen der langwierigen Postproduktion entstand der kleine Spielfilmbruder "Perfect Days".     

What's Going On 

Der Film folgt zwei Stunden einem Toilettenputzer in Japan und ist dabei keine Sekunde langweilig, denn der neugierige und menschenfreundliche filmische Blick des Regisseurs entdeckt die Poesie des Aborts.        

Die Hauptfigur Hirayama scheint mit seinem einfachen Leben als Toilettenreiniger in Tokio vollauf zufrieden zu sein. Außerhalb seines sehr strukturierten Alltags genießt er seine Leidenschaft für Musik, Bücher und Bäume. Eine Reihe unerwarteter Begegnungen enthüllt nach und nach mehr über seine Vergangenheit, doch er findet wieder zurück in seine perfekte Routine. Der Film bewegt sich durch die Alltagsschleifen dieses alleinstehenden Mannes um die 60, der in seiner eigenen, analogen Zeit lebt.       

Here Comes the Sun

Wenders und sein langjähriger Kameramann Franz Lustig verfolgten erneut einen dokumentarischen Ansatz: Bei einer sehr kurzen Drehzeit von gut zwei Wochen war nicht viel Zeit für aufwendige Lichtaufbauten. Stattdessen brachen Regisseur und Kameramann frühmorgens zur Motivbesichtigung auf, um alle Farbverläufe der aufgehenden Sonne miterleben zu können. Franz Lustig habe durch diese Vorarbeit schon eine genaue Vorstellung von der natürlichen Lichtsituation bekommen und die vorhandenen Lichtquellen nur mehr punktuell verstärken müssen, erzählt der Kameramann nach einem Viennale-Screening. 

Die Toilettenhäuschen in Tokio sind nicht nur stille, sondern eindrucksvolle Orte. Hier trifft Architektur auf Technik. Futuristische Betonbauten oder transparente Toilettenwände, die auf Knopfdruck blickdicht werden, - schon diese Drehorte haben Schauwert.

Neben der architektonischen Vielfalt ist auch die Raffinesse und Perfektion von Hirayamas Arbeitsweise faszinierend. Leidenschaft ist immer faszinierend, selbst wenn es ums Toilettenputzen geht. Zudem trifft die stille Hauptfigur am sozialen Schmelztiegel aus Porzellan auf einen Querschnitt aller Gesellschaftsschichten.

Blowin' in the Wind

Den Hauptdarsteller Koji Yakusho kennt das westliche Publikum als Nebendarsteller aus Filmen wie "Babel" vom oscarprämierten Regisseur Alejandro González Iñárritu und vollführt in seinem meisterhaften Schauspiel jede Alltagsbewegung in einer meditativen Genauigkeit und Gelassenheit, die man gerne lange beobachtet.

Wim Wenders inszeniert seine Figuren im Stile seines japanischen Regievorbildes Yasujirō Ozu in ruhigen Kamerabewegungen und mit reduzierte Mimik. Dabei fährt Wenders den metaphorischen Putzwagen elegant um jeglichen Kitsch herum und lässt dem Publikum Zeit, um genau hinzusehen. Die großen Emotionen in diesem Filmen entstehen durch die kleinen Schönheiten des Alltags. So lernen wir, dass es für jenes Licht, das durch die Blätter eines Baumes fällt, in Japan einen eigenen Begriff gibt: Komorebi. Hauptfigur Hirayama fotografiert täglich dieses Naturschauspiel und findet dadurch täglich glückliche Momente.

Perfect Days

Aufmerksame Leserinnen mit Faible für Popmusik der 1960er und 1970er werden es schon vermutet haben und auch allen anderen sei an dieser Stelle nun endlich verraten: Ja, der Filmtitel nimmt Bezug auf den gleichnamigen Song von Lou Reed. 

Der Protagonist verbringt viel Zeit mit Autofahren und hört dabei ausschließlich Radiokassetten. Dass der Arbeitskollege diese analogen Relikte aufgrund des hohen Marktpreises verkaufen will, stößt der Hauptfigur übel auf und ist eine der schönsten Szenen des Filmes. Schon alleine für die emotionale Aufladung des titelgebenden Liedes gebührt Wim Wenders Dank, können geneigte Cineasten nun endlich die von "Perfect Days" untermalte Szene aus Danny Boyles "Trainspotting" mit dem sympathischen Toilettenputzer aus Tokio überspielen.

Denn gemeinsam mit der Hauptfigur Hirayama erlebt man in diesem Film 123 Minuten lang genau das, wovon auch der Song von Lou Reed handelt: Dass jene kleinen Dinge, an denen wir so oft im Stress des Alltags vorbeihasten, Quell großer Zufriedenheit sein können – wenn wir genau hinschauen. Man muss sich den japanischen Reinigungsmann als glücklichen Menschen vorstellen.        
 

"Perfect Days" läuft ab 22. Dezember 2023 in den österreichischen Kinos