Vom österreichischen Autor Stephan Alfare ist kürzlich unter dem bedrohlichen Titel "Neuneinhalb Finger" ein neuer Roman erschienen, den man am als "dunklen, unerbittlichen Episoden-Roman made in Austria" bezeichnen könnte. Im Schatten eines eiskalten Soziopathen und Mörders führt der Autor die tiefen, schmutzigen Abgründe der menschlichen Seele vor Augen. Sein fesselnder Erzählstil, gepaart mit einer bildhaften, bunt-trockenen, präzisen Sprache, ist durchzogen von surrealen, humoristischen und schonungslosen Gedankenspielen. Der Roman erinnert an die Werke von Max Frisch, Alain Robbe-Grillet oder Hunter S. Thompson.
Inhaltlich geht es fünf Künstlerseelen, die 2006 im Münsterland auf Einladung einer Stiftung zusammenkommen, um dort gemeinsam zu leben und zu schaffen. Rasch wird die Idylle gestört, als zwei Fremde auftauchen. Die ungebetenen Besucher drängen sich der Gruppe auf und stiften jede Menge Unruhe. Nach und nach werden die Lebensgeschichten aller Figuren ausgebreitet – 25 unverblümte Jahre, quer durch Europa, voll von Kunst, Sex, Freude, Hass, Enttäuschung und Gewalt ... Durch das Buch führt Leon Schillinger, ein gebeutelter Schriftsteller aus Wien, der begleitet wird von seiner Halbschwester, der Bildhauerin Loki, Star-Autor und Ex-Sträfling Thilo Fenske, Luisa, einer Komponistin und ehemaligen Prostituierten sowie Schillingers Stiefbruder Sigmar und dessen Freund Töffels, der ein ungestrafter Totschläger ist.
Der gebürtige Vorarlberger Stephan Alfare lebt und wirkt als freier Autor in Wien. In den Achtziger- und Neunzigerjahren bereiste er halb Europa, darunter Frankreich Italien, Griechenland, den Balkan und die Türkei. Danach verdingte er sich als Sargträger in Wien, ehe er sich 1996 für ein Leben als Schriftsteller entschied. Mit über einem Dutzend Prosa- und Lyrikveröffentlichungen in vier Jahrzehnten ist er mittlerweile ein fester Bestandteil der österreichischen Literaturszene. Er ist Mitglied der Grazer Autorenversammlung und des Vorarlberger Autorenverbandes sowie Gewinner des Vorarlberger Literaturpreises und des Theodor-Körner-Förderpreises.
Nachfolgend ein Interview mit dem Autor:
Kultur-Online (KO): Wie und warum erfolgte der Schritt zum Schriftsteller?
Stephan Alfare (S.A.): Es war ein Zufall. Ein wenig geschrieben habe ich schon immer. 1996, nach dem Ende meiner Tätigkeit als Bestattungsgehilfe in Wien, habe ich mir gesagt: Jetzt versuchst du es als hauptberuflicher Schriftsteller, möglichst mit einer 35-, 40- Stunden-Woche. Ich habe Glück gehabt.
KO: Welche Idee liegt deinem aktuellen Roman zugrunde?
S.A.: Eine von einem guten Dutzend Romanideen, die in wenigen Sätzen als Notizen bereits skizziert sind und darauf warten, angegangen zu werden.
KO: Was ist dir beim Prozess der Buchwerdung leichtgefallen und was weniger?
S.A.: Ich denke, das Schreiben ist wie ein Handwerk, das man zu einem gewissen Grad erlernen kann. Man kann Schriftsteller oder Schriftstellerin werden, wie man Werkzeugmacherin, Haubenköchin oder Balletttänzer wird. Durch Übung und durch das, was man ständig dazulernt. Leicht ist es immer dann, wenn es Spaß macht. Wenn ich keine Lust habe - und das kommt durchaus vor -, muss ich mich zum Schreiben zwingen. Dann kann es ein wenig mühsam werden.
KO: Folgst du beim Schreiben einem bestimmten Ritual?
S.A.: In der Regel lese ich anderthalb bis zwei Stunden pro Tag, meist in einem Roman, mache mir Notizen, stehle Ausdrücke und ganze Sätze. Danach beginne ich mit dem Schreiben. Fünf Stunden lang versuche ich zu tippen. Meistens abends und während der Nacht.
KO: Welche deiner Romanfiguren gefällt dir am besten? Und warum?
S.A.: Schwer zu sagen. Alle oder keine. Und warum? Das weiß ich nicht. Die blasseste der Figuren ist wohl Leon Schillinger, der zeitweise als Ich-Erzähler fungiert. Die Komponistin Sukjai aus Bangkok hingegen ... die mag ich ganz gern. Leider verschwindet sie am Ende des ersten Teils der Geschichte für immer. Ich glaube, wirklich mögen kann man diese Figuren allesamt nicht. Ist ja auch nicht notwendig, oder?
KO: Was sind deine prägendsten literarischen Einflüsse?
S.A.: Fast alles, was ich gelesen habe oder gerade lese. 'Bücher werden aus Büchern gemacht', wie Cormac McCarthy einmal sagte. Und auch das Leben ist Literatur im Rohstadium. Alles, was ich Menschen reden höre, beeinflusst meine Schreiberei. Als Schriftsteller hast du nur die Sprache, dein Gehör und den genauen Blick. Daraus besteht dein Material.
Stephan Alfare: Neuneinhalb Finger
Roman, Verlag: Dachbuch Verlag
Preis: € 20,60 (A), € 19,99 (D)
ISBN: 978-3-903263-47-5 (BR), 978-3-903263-48-2 (EP)