Starregisseure, junges Kino und die Konkurrenz von Toronto

Star-Power wird sich bei den 68. Internationalen Filmfestspielen von Venedig (31.8. – 10.9.) am Lido tummeln. Mit Premieren der neuen Filme von George Clooney, Steven Soderbergh, Roman Polanski und Madonna werden auch die darin spielenden Stars in die Lagunenstadt kommen. Aber angesichts der Mischung aus Regiegrößen und jüngeren Regisseuren, die mit ihren ersten Filmen hohe Erwartungen weckten, darf man auch auf einen künstlerisch hochklassigen und spannenden Wettbewerb um den Goldenen Löwen hoffen.

Colin Firth, George Clooney, Philip Seymor Hoffman, Keira Knightley, Viggo Mortensen, Michael Fassbender, Willem Dafoe, Monica Belluci, Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, Matt Damon und Jude Law sind nur einige der Stars, die in den bei der 68. Mostra internazionale d´arte cinematografica del Venezia gezeigten Filmen mitspielen.

Viele davon werden sicher auch in die Lagunenstadt kommen, aber auch kaum einer der 21 Regisseure, die im Wettbewerb um den Goldenen Löwen ihre neuen Filme präsentieren werden – ein Überraschungsfilm wird noch dazukommen -, ist ein Unbekannter, der nicht auf zumindest einen großen Film in seiner Filmographie verweisen kann. Bei "French Connection"- und "Exorzist"-Regisseur William Friedkin, der am Lido seine schwarze Komödie "Killer Joe" zeigt, und Abel Ferrara, der die Endzeitgeschichte "4:44 Last Day on Earth" präsentiert, mögen die großen Zeiten schon einige Jahre zurückliegen, der Grieche Yorgos Lanthimos gilt dagegen seit seinem Debüt "Dogtooth" ebenso als aufregender Newcomer wie der britische Videokünstler Steve McQueen, der mit "Hunger" die Kritiker begeisterte. Gespannt und mit hohen Erwartungen blickt man deshalb den Premieren von Lanthimos neuem Film "Alpeis" und McQueens "Shame" entgegen.

Viel erwartet man nach dem vibrierenden Teenager-Porträt "Fish Tank" auch von Andrea Arnolds Adaption von Emily Brontés "Wuthering Heights" und von "The Exchange" des Israeli Eran Kolirin, dem zuletzt mit "The Bands Visit – Die Band von nebenan" ein kleines Meisterwerk gelang. Auf einen großen Vater kann die Amerikanerin Ami Canaan Mann mit Michael Mann verweisen, die mit ihrem Kinodebüt "Texas Killing Fields" einen Thriller in den Wettbewerb schickt.

In dieser Programmschiene sind die USA somit vorwiegend mit Genrefilmen und Genrevariationen vertreten, doch auch Biennale-Stammgast Todd Solondz stellt mit "Dark Horse" seinen neuen Film vor. Zudem wird das Festival mit amerikanischen Filmen eröffnet und beendet: George Clooneys Polit-Drama "The Ides of March" sorgt am 31. August für den Auftakt und Whit Stillman wird zum Abschluss am 10. September mit der Komödie "Damsels in Distress" seinen ersten Film seit 12 Jahren vorstellen. Dazu kommen mit Steven Soderberghs Seuchen-Thriller "Contagion" und der Vorführung von Todd Haynes TV-Mini-Serie "Mildred Pierce" zwei weitere starbesetzter US-Produktionen außerhalb des Wettbewerbs.

Zahlenmäßig sind neben den Amerikanern und den Briten im Wettbewerb der Mostra wie gewohnt die Italiener am stärksten vertreten. Von den Namen her müssen sich Cristina Comencini ("Quando la notte"), Emanuele Crialese ("Terraferma") und der Debütant Gian Alfonso Pacinotti ("L´ultimo Terrestre") aber hinter Roman Polanski und David Cronenberg anstellen. Während Polanski mit der Tragikomödie "Carnage" seine Verfilmung von Yasmina Rezas Theaterstück "Der Gott des Gemetzels" vorstellt, setzt sich Cronenberg in seinem in Wien gedrehten "A Dangerous Method" mit Sigmund Freud auseinander.

Lange gewartet hat man auch schon auf Aleksander Sokurovs "Faust"-Film, einen klassischen Spionage-Roman hat "Let the Right One In"-Regisseur Tomas Alfredson mit John Le Carrés "Tinker, Taylor, Soldier, Spy" ("Dame, König, As, Spion") verfilmt. Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud wollen dagegen mit dem Animationsfilm "Poulet aux prunes" an ihr starkes Debüt "Persepolis" anknüpfen, während Philippe Garrel mit "Un été brulant" wohl wiederum anspruchsvolles Kunstkino vorlegen wird.

Aus Asien könnte der Japaner Sion Sono mit seiner überbordenden Fantasie mit seiner Manga-Verfilmung "Himizu" den Wettbewerb aufmischen. Nach langer Vorbereitung ist nun auch endlich mit Te-sheng Weis historischem Actiondrama "Seediq Bale" der teuerste taiwanesische Film aller Zeiten fertig geworden. Sanftere Töne schlägt dagegen die Hongkonger Regisseurin Ann Hui an, die in "A Simple Life", von der Beziehung des Sohnes einer großen Familie zu einem Diener erzählt.

Große Namen bietet Venedig aber wie gewohnt nicht nur im Wettbewerb. Außer Konkurrenz wird neben den schon erwähnten US-Filmen mit "W.E." auch Madonnas zweiter Spielfilm gezeigt, aber auch Chantal Akermans "La folie Almayer", Mary Harrons "The Moth Diaries" oder Ermanno Olmis "Il villagio di cartone". Mit Rolando Collas "Giochi d´estate" ist erstmals seit 1994 auch die Schweiz im offiziellen Programm des ältesten Filmfestivals der Welt vertreten.

Dazu kommen in der Schiene "Giornate degli Autori" unter anderem Frederick Wisemans Dokumentarfilm über das Pariser Kabarett Crazy Horse ("Crazy Horse"), Philippe Liorets "Toutes nos envies" sowie in der Reihe "Orizzonti" unter anderem neue Dokumentarfilme von Michael Glawogger ("Whore´s Glory") und Romuald Karmakar ("Die Herde des Herrn") und eine Retrospektive des Werks von Nicholas Ray.

Spannend ist es freilich auch zu beobachten, welche großen Namen in Venedig fehlen und dafür im vorläufigen Programm des am 8. September beginnenden Filmfestivals von Toronto aufscheinen. Der Bogen spannt sich hier von neuen Filmen der Amerikaner Bennett Miller ("Moneyball") und Alexander Payne ("The Descendants"), die seit ihren letzten Werken "Capote" beziehungsweise "Sideways" viel Zeit gelassen haben, bis zur Terence Rattigan-Verfilmung "The Deep Blue Sea" des britischen Einzelgängers Terence Davies. Neben zahlreichen anderen feiern aber auch die neuen Filme von Cedric Kahn ("A Better Life"), Michael Winterbottom ("Trishna"), Sarah Polley ("Take This Waltz"), Francis Ford Coppola ("Twixt"), Marc Forster ("Machine Gun Preacher")und Fernando Meirelles (die Schnitzler-Adaption "360")ihre Welturaufführung nicht in Venedig, sondern in Toronto, das seine Position als wichtigstes Festival Nordamerikas weiter festigt.

Erwartet wird, dass sich im endgültigen Line-Up von Toronto dann auch die Premieren von Clint Eastwoods Biopic über den FBI-Boss Edgar J. Hoover ("Edgar J.") und Jason Reitmans "Young Adult" finden werden. Diese Entwicklung wird man in Venedig wohl mit Sorge verfolgen, denn ein beinahe zeitgleiches Festival mit vergleichbar attraktivem – oder sogar attraktiverem - Programm stellt für den Lido zweifelsohne eine starke Konkurrenz dar.

Interessant ist aber auch, welche in den letzten Monaten für Venedig oder Toronto genannten Filme sich nun in keinem der beiden Line-Ups finden. Wong Kar-weis "The Grandmasters" vermisst man da ebenso wie Brillante Mendozas "Prey", Ulrich Seidls "Paradies" oder Hans Weingartners "Hütte im Wald".

Kommende Festivals können also schon die Fühler ausstrecken, nicht schlecht lesen sich dann auch die ersten Wettbewerbsfilme, die San Sebastian, das wie gewohnt Einiges von Toronto übernimmt, bekannt gab: Terence Davies "The Deep Blue Sea" wird in der baskischen Metropole ebenso seine Europapremiere feiern wie Hirokazu Kore-edas "I Wish". Von den Verleih- und Marktchancen in Europa ist dies gegenüber einer Teilnahme im Wettbewerb von Venedig aber sicher ein Nachteil, da das Festival von Venedig ganz anders von den europäischen Medien wahrgenommen wird als das von San Sebastian.