Spät dran

25. August 2010 Rosemarie Schmitt
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Am 9. Dezember 1882 wurde er in Sevilla geboren. Er sollte einmal zu einem der größten Komponisten Spaniens heranwachsen und dafür war er recht spät dran. Denn bereits am 1. Juli des Jahres wurde Richard Wagners "Parsifal" uraufgeführt! Auch Millöckers "Bettelstudent" feierte 3 Tage vor Turinas Geburt seinen ersten Erfolg am "Theater an der Wien".

Also sputete er sich und begann als er vier war, Akkordeon zu spielen. Während seiner Schulzeit begab er sich an das Studium des Klavierspiels und mit zwölf Jahren studierte er Harmonielehre und Kontrapunkt bei Evaristo Garcia Torres. Ab 1897 trat er regelmäßig als Pianist, musikalischer Leiter und Interpret auch eigener Kompositionen in Sevilla auf.

Viele Künstler seiner Zeit gingen damals nach Paris, um zu studieren. So auch der 23jährige Joaquin Turina im Jahre 1905. In jenem Jahr wurde in Paris Jean Paul Sartre geboren (jener war nicht so spät dran, denn seine große Liebe, Simone de Beauvoir, sollte ohnehin erst 1908 das Licht von Paris erblicken). Weshalb Turina sich ausgerechnet zu dieser Zeit entschloß nach Paris zu gehen? Ich hege da so eine Vermutung, denn die schamlose Mata Hari hielt sich 1905 ebenfalls in Paris auf und führte als "Lady MacLead" in einem Lokal am Montmartre ihren legendären Schlangentanz vor!

Pah! Lady! Das ich nicht lache! War diese Frau tatsächlich eine Lady? Nun, vielleicht irre ich mich ja auch und tue dem guten Turina Unrecht? Wahrscheinlich interessierte er sich vielmehr für den Besuch der Uraufführung von Debussy’s Tonbilder "La Mer". Aber hätte er sich 1905 für eine Reise nach Dresden entschieden, wäre ihm die Gelegenheit nicht entgangen, die Uraufführung von Richard Strauss" "Salome" mitzuerleben! Und welch eine "Schande", daß Joaquin Turina der deutschen Sprache nicht mächtig war, wo doch der unvergleichliche Christian Morgenstern seine "Galgenlieder" veröffentlichte! Ob Turina vor oder nach dem Ableben des französischen Schiftstellers Jules Verne in Paris eintraf, ist mir nicht bekannt. Vielleicht hatte er noch Gelegenheit, ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Turina hatte sich einiges vorgenommen und da er, wie Sie wissen, recht spät dran war, ging er zielstrebig seinen Weg. Er war ein Schüler von Vincent d"Indy und befreundete sich mit Claude Debussy und Maurice Ravel. Doch erst die Begegnung mit dem über zwanzig Jahre älteren spanischen Kollegen Isaac Albéniz machte ihm die Notwendigkeit klar, sich für die nationale Musik seines und ihres gemeinsamen Landes Spanien stark zu machen. Und das tat er! Fortan beschäftigte er sich vorwiegend mit spanischer Folklore und den Wurzeln seiner Heimat.

Welch ein Glück diese Begegnung mit Albéniz doch gewesen ist! Für Turina, für mich und für Sie, liebe Leser. Denn es gäbe sie nicht, weder diesen wunderbaren Liederzyklus "Poema, en forma de canciones" und auch die sanften, und doch typisch spanischen Lieder, die "Canto a Sevilla". Eine einzige Huldigung an Turinas Heimat und Geburtsstadt Sevilla. Und wer, wenn nicht Naxos (Label: Hänssler-Classic) veröffentlicht eine CD mit genau diesen Kompositionen von Joaquin Turina!

Es kommt das Jahr 1949. Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir sind tatsächlich in Paris ein Paar, und das schlimmste, was in jenem Jahr am 14. Januar in Madrid geschieht ist, daß Joaquin Turina stirbt. Dieses Mal, denke ich, war er nicht zu spät dran. Er hätte noch warten können.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt