Skurrile Welten, schräge Familienbilder: Die Filme des Wes Anderson

21. Mai 2012 Walter Gasperi
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Unverwechselbar sind die Filme des Texaners Wes Anderson durch ihre wunderbar schrägen Typen und die unglaubliche Liebe zum Detail bei der Ausstattung. Mehr als die Geschichten der Filme bleiben einem deshalb einzelne, von einem gleich bleibenden Cast gespielte Typen oder Requisiten wie die roten Adidas-Trainingsanzüge in "The Royal Tenenbaums" (2001), die roten Pudelmützen und die hellblauen Tauchanzüge in "The Life Aquatic with Steve Zizou / Die Tiefseetaucher" (2004), die ockerfarbenen Louis-Vuitton-Koffer in "Darjeeling Limited" (2007) in Erinnerung, die liebevoll animierten Füchse in "The Fantastic Mr. Fox" (2009. Andersons neuer Film "Moonrise Kingdom" läuft nun in den Kinos an.

1969 in Austin, Texas geboren wuchs Anderson – und das ist im Kontext seiner Filme nicht unwichtig – mit zwei Brüdern auf. Schon als Jugendlicher inszenierte er Stücke, absolvierte dann aber zunächst an der University of Texas in Austin ein Studium der Philosophie. Dabei lernte er Owen Wilson kennen, der an fast jedem Drehbuch Andersons mitarbeitete und in den Filmen seines Freundes mitspielte.

Den Kurzfilm "Bottle Rocket" (1994) bauten sie zwei Jahre später zu ihrem ersten langen Spielfilm aus ("Bottle Rocket / Durchgeknallt", 1996), ehe Anderson wiederum zwei Jahre später mit "Rushmore" (1998) sein Durchbruch gelang. Schon in dieser schrägen Coming-of-Age-Geschichte arbeitete er mit einem Team zusammen, das von da an fixer Bestandteil werden Filme sein sollte. Owen Wilson, der bei "Rushmore" "nur" am Drehbuch mitarbeitete, gehört ebenso dazu, wie der stoische Bill Murray und Jason Schwartzman bei den Schauspielern, der Kameramann Robert D. Yeoman und der Komponist Mark Mothersbaugh.

Gefunden hat Anderson mit "Rushmore" aber auch schon seinen Stil und seine Themen. Knochentrocken erzählt er, hält den Zuschauer vielfach mit halbnahen Frontalaufnahmen, die den Eindruck einer Guckkastenperspektive erzeugen, auf Distanz anstatt ihn mit Schuss-Gegenschuss-Strategien und subjektiven Kamerapositionen ins Geschehen zu involvieren und zu emotionalisieren. Thematisiert wird dieser Stil auch in den Filmen selbst, wenn Steve Zissou in "The Life Aquatic" den Aufbau seines Schiffs anhand eines Querschnitts erläutert oder in „Darjeeling Limited“ die Kamera außen den Zug entlang fährt und in die einzelnen Abteile blicken lässt.

Dennoch ist Andersons Mitgefühl für und seine Liebe zu den oft psychisch schwer angeschlagenen Figuren immer spürbar. Durch diesen distanzierten und lakonischen Erzählstil wird das Geschehen nicht nur entdramatisiert, sondern auch jedes Aufkommen von Melodramatik oder Sentimentalität verhindert, weil dadurch an sich dramatische Szenen ins Komische kippen.

Geprägt werden diese ganz entscheidend aber auch von der speziellen, leicht surrealen Welt, die Anderson für jeden seiner Filme entwirft. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Backsteinhaus der Familie Tenenbaum hat nichts mit dem realen New York zu tun, hinreißend animierte Fabelwesen tummeln sich in der Unterwasserwelt des Steve Zissou und in "Darjeeling Limited" wird lustvoll mit Indienklischees gespielt. – Wer vom Kino Realismus erwartet, ist bei Wes Anderson am falschen Platz.

Auf seine Kosten kommt dagegen der, der sich an einer mit überbordendem Einfalls- und Detailreichtum entworfenen fantastischen Parallelwelt erfreuen kann, an den roten Adidas-Trainingsanzügen, die Chas Tenenbaum und seine beiden Söhne nicht nur bei ihren sportlichen Übungen tragen, über die roten Pudelmützen und die hellblauen Tauchanzüge, die das Team von Steve Zissou kennzeichnet, oder die elf ockerfarbenen von Marc Jacobs für Louis Vuitton designten Koffer, mit denen die drei zerstrittenen Brüder in "Darjeeling Limited" durch Indien reisen. Jeder Film ist hier auch in eine bestimmte Farbe getaucht: in warme Brauntöne "The Royal Tenenbaums", ins Blau des Meeres "The Life Aquatic" und ins Gelb und Ocker Rajasthans "Darjeeling Limited".

Mit diesen Farben, aber auch mit Plotmustern und Figuren erweist Anderson dabei auch liebevoll seinen Vorbildern seine Reverenz. So ist “The Life Aquatic“ ohne die Meeres-Dokumentarfilme von Yves-Jacques Cousteau kaum denkbar und "Darjeeling Limited" bezieht sich nicht nur auf Jean Renoirs Indien-Film "The River" (1951) und im Finale auf Michael Powells und Emeric Pressburgers "Black Narcissus" (1947), sondern bedient sich bei der Musik auch bei Filmen des indischen Meisterregisseurs Satajit Ray.

Nah dran an diesen Vorbildern ist Anderson, schafft gleichzeitig aber wieder Distanz durch einen genialen Soundtrack, der in gleichem Maße das Ergebnis großer Tüftelei ist, wie die visuelle Gestaltung: Nie fehlen dürfen dabei Songs von David Bowie – in "The Life Aquatic" sogar auf portugiesisch -, dazu kommen in "The Royal Tenenbaums" beispielsweise Titel von Van Morrison, den Beatles, den Stones, Jackson Browne, aber auch Vivaldi und Satie oder in "Darjeeling Limited" Peter Starstedts Oldie "Where do you go to (My Lovely)", der sich leitmotivisch durch den Film zieht. – Nie drängt sich dabei aber die Musik in den Vordergrund, sondern begleitet und stützt vielmehr wunderbar beiläufig Handlung und Atmosphäre der Filme.

Und dann gibt es noch die Geschichten und die Figuren, die in der Kinolandschaft der Gegenwart einzigartig sind. In heiterem Ton wird da von Depressionen, Suizidversuchen und Krebs erzählt, politisch unkorrekt werden mit größter Selbstverständlichkeit Joints geraucht und Bisexualität zum Normalfall erklärt. – Viel zu stilvoll und zu warmherzig, durchzogen auch von sanfter Melancholie sind Andersons Filme, als dass sie trotz des lockeren Umgangs mit sensiblen Themen je in Geschmacklosigkeit abgleiten würden. Anderson steht nicht über den Figuren, sondern direkt auf Augenhöhe mit ihnen, sieht in ihnen vielfach sein Alter Ego, speziell wohl in den drei Brüdern von "Darjeeling Limited", hat er mit seinen zwei realen Brüdern das ständige Streiten trotz Nähe zueinander doch am eigenen Leib erfahren.

Und wie es in dem Railroad-Movie "Darjeleeling Limited" neben den drei Brüdern auf der Suche nach sich und zueinander unvergessliche Nebenfiguren wie zwei ältere deutsche Touristinnen, einen Assistenten, der die Reiseanleitungen laminiert und druckt, sowie einen von Bill Murray gespielten amerikanischen Geschäftsmann und ein Spiel mit den Klischees einer Indienreise vom Tempelbesuch über den stehlenden Schuhputzer bis zum Giftschlangenkauf auf dem Markt gibt, so überborden auch "The Life Aquatic" und "The Royal Tenenbaums" an Figuren und Nebengeschichten.

Da gibt es bei "The Royal Tenenbaums" nicht nur den Vater, der die Familie vor über 20 Jahren verlassen hat, die Mutter, die beabsichtigt ihren afroamerikanischen Steuerberater zu heiraten, und deren Kinder, deren Bogen sich vom verwitweten Finanzgenie über die depressive, seit dem 12. Lebensjahr im Badezimmer heimlich rauchende Gattin eines Neurologen bis zum gescheiterten Tennisprofi reicht. Dazu gehört auch der stets in Cowboykleidung und mit Hut auftretende Jugendfreund Eli Cash oder der indische Diener des Vaters. Zusammengehalten und erzählt werden kann diese durchgeknallte Familiengeschichte, die gleichwohl mit größter Unaufgeregtheit daherkommt, nur mit Hilfe eines anonym bleibenden Kommentators aus dem Off (Alec Baldwyn) und die Gliederung in Kapitel, die jeweils mit einem Bild und einer Textzeile aus einem Kinderbuch eingeleitet werden.

Nicht weniger schräg und kaputt wie die Tenenbaum-Familie ist das Team des Forschungsschiffs "Belafonte" in "The Life Aquatic". Da wird der schwäbische Ingenieur Daimler eifersüchtig, als ein uneheliches Kind des Kapitäns Steve Zissou auftaucht und in die Crew aufgenommen wird. Zissous selbstbewusste Frau möchte sich scheiden lassen, eine schwangere, stets Kaugummi kauende Journalistin kommt zwecks Recherchen und ein Versicherungsagent zur Überwachung an Bord. Abgerundet wird das Ensemble durch einen brasilianischen Sicherheitsexperten und einen indischen Tontechniker. Nachdem ein Jaguar-Hai bei der letzten Expedition allerdings Zissous Freund gefressen hat, geht es diesmal weniger um das Drehen eines Naturfilms als vielmehr um die Jagd auf das Untier. Beiläufig werden dabei Piraten-, Action- oder Katastrophenfilme wie "Der weiße Hai" (Steven Spielberg, 1975) parodiert, aber wie in jedem von Andersons Filmen sind die Figuren mit ihren Macken und einzelne kleine Szenen viel wichtiger als die Geschichte an sich. – Anderson nützt das Kino als Spielplatz, um die Welt seiner Kinderträume zum Leben zu erwecken. Das ist kein Kino des großen Entwurfs, sondern eines, das die Schönheit des Augenblicks und der Details feiert und lust- und liebevoll Menschen und Objekte vorführt.

Seinem Stil ist Anderson auch mit der Verfilmung von Roald Dahls Kinderbuch "The Fantastic Mr. Fox" (2009) treu geblieben, auch wenn er hier auf die klassische Stop-Motion-Technik zurückgriff. Schon die aufwändige Handarbeit, die mit der im Vergleich zu den modernen Computeranimationen altmodischen Technik verbunden ist, erweist sich als Plus, verleiht sie dem Film doch eine Aura der Wärme und Menschlichkeit und lässt zudem jeder Einstellung Platz für die berühmten kleinen, aber feinen Einfälle Andersons.

Wie jeden anderen seiner Filme bestimmt so auch diesen visuell eine Farbe. Passend zur Familie der Füchse ist das hier natürlich warmes Gelb und Braun. Und wieder gibt es – hier freilich in die Tierwelt verschoben – die für diesen Regisseur typischen problematischen Familienkonstellationen.

Die Handlung mag kindgemäß sein, elaboriert ist aber nicht nur die Bildsprache, sondern auch der Soundtrack, der sich bei Mozart ebenso bedient wie bei den Rolling Stones ("Streetfightin´ Man") und den Show-Down mit Klängen, die an den Italo-Western erinnern, begleitet. Und auch auf der sprachlichen Ebene geht es hie und da sehr philosophisch zu und her, wenn Mr. Fox nach dem Subtext einer Aussage sucht oder die Identitätsfrage im existentialistischen Sinne stellt. Mehr ein Film für Erwachsene als für Kinder ist "The Fantastic Mr. Fox" so, ganz gewiss aber ein typischer Wes-Anderson-Film.

Streifzug durch die Filme von Wes Anderson