Sjöström und Stiller – Die Meister des schwedischen Stummfilms

Mauritz Stiller und Victor Sjöström gelten als DIE Meister des schwedischen Stummfilms. Sehen kann man ihre Filme heute kaum mehr, umso beachtenswerter ist die Retrospektive im österreichischen Filmmuseum, bei der diese Meisterwerke in neu restaurierten Kopien gezeigt werden.

Wie sehr Mauritz Stiller und Victor Sjöström inzwischen in Vergessenheit geraten sind, lässt sich auch daran ablesen, dass diesen Regisseuren beispielsweise in Reclams Nachschlagewerk "Filmregisseure" (Auflage 1999) kein Artikel mehr gewidmet ist, während sie in der 1982 erschienenen fünften Auflage von "Reclams Filmführer" noch kurz vorgestellt wurden.

Kurz war diese Blüte des schwedischen Stummfilms. Die Hauptwerke der beiden Regisseure entstanden zwischen 1916 und 1923, danach versuchten sie in Hollywood ihr Glück. Das Werk des 1879 geborenen Sjöström, das rund fünfzig Filme, darunter überwiegend Lustspiele und soziale Dramen zählt, kennzeichnet sich durch eine starke Einbettung in die Landschaft. Die Natur bleibt bei ihm aber nicht nur Hintergrund, sondern wird ein Bestandteil der dramatischen Handlung. So wird in seinem ersten Meisterwerk "Terje Vigen" (1916), nach einer Ballade von Henrik Ibsen, das Meer, auf dem fast der ganze Film spielt, gewissermaßen zum Hauptdarsteller. Die Geschichte eines Fischers, der zur Zeit Napoleons gefangen genommen wird und nach der Entlassung auf Rache sinnt, verbindet sich mit den Stürmen, dem Nebel, der Nacht und der Sonne zu einer atmosphärischen Einheit.

In die Weiten Islands entführt dann "Berg-Eyvind und sein Weib" (1917), in dem eine Bäuerin mit einem von der Polizei gesuchten Vagabunden in die Berge flüchtet, wo schließlich beide in einem Schneesturm umkommen. Nach Selma Lagerlöfs Roman "Jerusalem in Daleskarlien" drehte Sjöström "Die Ingmarssöhne" (1918) und "Karin Ingmarsdotter" (1919), in denen der Schwede ebenso wie in der Grillparzer-Verfilmung "Das Kloster von Sendomir" (1919) mit Kunstlicht eine fatalistische Atmosphäre erzeugte.

In "Körkalen – Der Fuhrmann des Todes" (1920) transponierte Sjöström dann das mittelalterliche Motiv vom Tod, der leibhaftig mit einem Karren durchs Land zieht und die Sterbenden abholt, in ein proletarisches Milieu. Durch Doppelbelichtung wird dabei eindrucksvoll visualisiert, dass Sensenmann und Karren für die Lebenden unsichtbar bleiben und geisterhafte Figuren sind.

1922 ließ sich Sjöström von Metro-Goldwyn-Mayer nach Hollywood locken, wo er unter dem Namen Victor Seastrom neun Filme drehte, in denen er zum Naturmystizismus seiner früheren Filme zurückkehrte, am eindrucksvollsten in "The Wind" (1928), in dem ein Sandsturm zum großen Gegenspieler einer armen Farmersfamilie wird. Nach seiner Rückkehr nach Schweden im Jahr 1929 arbeitete er bis zu seinem Tod (1960) nur noch als Schauspieler, in Erinnerung bleibt er dabei vor allem in der Rolle des Professors in Ingmar Bergmans "Wilde Erdbeeren" (1957).

Im Gegensatz zum naturbezogenen Sjöström präsentierte sich der 1883 geborene Mauritz Stiller in seinen Filmen, auch in den in historischem Ambiente spielenden, als moderner Städter. Stiller kam zwar vom Theater, entwickelte bald aber einen sehr filmischen Stil. Er begann 1912 mit mondänen Lustspielen und schuf 1920 mit "Erotikon" einen seiner besten Filme. Sarkastisch deckt Stiller darin im Gewand einer frivolen Beziehungsgeschichte die mangelnde Liebesfähigkeit der Männer auf. Bewegliche Kamera, elliptische Montage und mehrfache Spiegelungen des Geschehens konstituieren dabei laut Gregor/Patalas (Geschichte des Films, Bd. 1, S. 43) den reflektiven Stil des Films.

Wie bei Sjöström gehen auch bei Stiller mit "Herrn Arnes Schatz" (1919), "Gunnar Hedes Saga" (1922) und "Gösta Berlings Saga" (1923) drei Hauptwerke auf Romane von Selma Lagerlöf zurück. Eine flexible Kamera und ein rascher Schnitt sorgen wie bei seinen Gesellschaftskomödien auch in diesen historischen Epen für einen dynamischen Erzählstil. Zudem hatte Stiller in "Gösta Berlings Saga" der jungen Greta Garbo die Rolle gegeben, die ihre Karriere begründete. Ihr folgte er auch 1925 nach Hollywood, konnte mit seinem Star dort aber keinen Film drehen und kehrte nach wiederholten Differenzen mit den Produzenten 1928 enttäuscht nach Stockholm zurück, wo er die Leitung eines Theaters übernahm und bald darauf am 18. November 1928 starb.


Quellen: Ulrich Gregor / Enno Patalas, Geschichte des Films Bd. 1: 1895 – 1939, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 41 – 44
Dieter Krusche (Hrsg.), Reclams Filmführer, Stuttgart 1982 (5. Auflage)

Österreichisches Filmmuseum in Wien vom 6.- 30.11.2008