Seven Sounds / Seven Circles

Lothar Baumgarten hat Ende der 1960er-Jahre zusammen mit anderen bedeutenden Künstlern der Zeit wie Joseph Beuys, Walter de Maria oder Robert Smithson die Grenzen der Kunst besonders in der Auseinandersetzung mit der Natur und in der Reflexion über sie entscheidend erweitert.

Anders jedoch als seine amerikanischen Kollegen, die sich an der Macht der Realität orientierten, hinterfragte Lothar Baumgarten den eurozentrischen Blick und ließ sich im Wechsel von Recherche und Dokumentation auf die Begegnung mit dem unbekannten Anderen vor Ort ein. Immer wieder hat er durch seine ephemeren, dreidimensional materialisierten Äußerungen, Zeichnungen, Fotografien, Lichtbildprojektionen, Filme und dokumentarischen Tonaufzeichnungen das Phantom der "Natur" in der Kultur aufgespürt. In langfristig angelegten Projekten entwickelten sich Vorstellungsräume, die sich vor allem mit unterschiedlichen kulturellen Systemen und ihren spezifischen Raum- und Zeitvorstellungen auseinandersetzen.

Für Bregenz entsteht ein auch für den Künstler radikal neues Werk. Ausgehend von Tonaufzeichnungen, die in einem Zeitraum von vier Jahren nördlich von New York auf der Halbinsel Denning’s Point im Hudson River gemacht wurden, wird Lothar Baumgarten für drei Stockwerke des KUB sieben phonische Skulpturen, eine Audioarbeit, realisieren. Es sind Hörstücke urbanen Charakters, die durch wechselnde klimatische Gegebenheiten, die Stimmen der Tiere und Geräusche der Pflanzen, die Bewegungen von Mensch und Maschine bestimmt sind. Ein Dokument vorgefundener Umstände, das eine phonische Realität hörbar macht, die jahreszeitlichen Wechsel erfährt (Eisschollen, Diesellokomotiven, Ochsenfrösche, Wind und Regen ...). Der Besucher wird in der leeren Architektur des Gebäudes auf jedem Stockwerk mit einem anderen Klangbild von jeweils einer Stunde Dauer konfrontiert. Diese Tonstücke erhalten ihren Klangkörper und skulpturalen Charakter erst durch die Komplexität ihrer Intonation. Sie haben sinfonische Dimension. Eine spezielle Surround-Sound-Technik versetzt den Hörer quasi an den Ort der Ereignisse selbst und lässt ihn die Dramatik und gewaltige Inszenierung Kultur gewordener Natur erleben.

"Der Ausgangspunkt für die aktuelle Ausstellung Seven Sounds / Seven Circles ist Denning’s Point, eine stark bewaldete, überwucherte Halbinsel am östlichen Flussufer des Hudson River. Der erste Teil der Ausstellung besteht aus drei Projektionen mit Bildern dieses "Wasteland", dem vormaligen Firmensitz der Denning’s Point Brick Works Company. Im Verlauf der Betrachtung der 404 synchron projizierten Lichtbilder werden für den Besucher durch abstrakt anmutende Kompositionen der Vegetation die Dynamik des Wachstums und dessen latente Vergänglichkeit erkennbar. Er wird auch die noch immer auf dem gesamten Gebiet vorzufindenden, kaum sichtbaren industriellen Spuren entdecken können.

Der zweite Teil der Ausstellung umfasst sieben ebenfalls auf der Halbinsel aufgezeichnete Audio-Bilder von jeweils einer Stunde Dauer. Auf drei Etagen und unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen präsentiert, vermitteln diese "Phonischen Skulpturen" durch ihre atmosphärische Präsenz und das unerwartete Zusammenfließen verschiedener Klangstrukturen natürlichen wie auch industriellen Ursprungs eine ausgeprägte Vorstellung des Orts. Tatsächlich spricht das, was Baumgarten als "eindringlichen Dialog zwischen Kultur und Natur" vorführt, ihre andauernde Koexistenz vor Ort, eine eigene Sprache. Die Einrichtung der Arbeit im Kunsthaus Bregenz sprengt die Grenzen unserer Erwartung dessen, was wir zu hören glauben im Stande sind." (Kaira Cabañas, 2009)

"Es handelt sich um sieben "Phonische Bilder" von je 60 Minuten Dauer. Sie wurden seit 2004 in vielen Sitzungen mit einer Surround-Sound-Technik auf 24 Bit und 96 KHz aufgezeichnet. Diese Hörstücke haben sinfonischen Charakter. In zyklischer Anlage folgen die Sätze aufeinander und gliedern ihren Zusammenhang. Sie leiten sich her aus akustischen Gesetzmäßigkeiten die durch Melodik und Tonalität ihre Stimmungen hervorbringen. Es sind "Orchesterwerke", die durch ihre sinfonische Dimension und Tonsprache den Ort in seiner phonischen Realität wiedererschaffen. Ihnen ist jene gewaltige Macht der Imagination eingeboren, die erst am Ende einer Stunde des Hörens entlässt, ohne jedoch die Umstände vor Ort vollkommen preiszugeben. Es bleibt die Ungewissheit über das, was, wo und wie man hört. Die Strukturen dieser suggestiven Klangwelt evozieren jeweils eigene, innere Bilder dieser Wegstrecke. Rhythmus und Intervalle überlagern sich zu einem mehrdimensionalen, fortwährenden chromatischen Unisono des Chors der in permanenter Steigerung die Ereignisse vorbereitet." (Lothar Baumgarten, 2009)

Zur Ausstellung "Lothar Baumgarten: Seven Sounds / Seven Circles" erscheinen zwei Publikationen. Zum einen das CD-Album mit sieben Tonstücken, phonischen "Kompositionen" skulpturalen Charakters, die von einem Text und fotografischen Abbildungen des Künstlers begleitet werden. Zum anderen ein Katalogbuch mit vier Essays, die in Form eines Kompendiums das Werk und Denken Lothar Baumgartens reflektieren und die Vielschichtigkeit seiner künstlerischen Äußerungen zum Gegenstand haben. Ein aktuell von Christian Rattemeyer mit Baumgarten geführtes Interview sowie ein monografischer Abriss vervollständigen die Publikation, in die Kaira Cabañas als Mitherausgeberin kenntnisreich einführt. Form und Typografie beider Publikationen wurden, wie schon bei früheren Buchprojekten des Künstlers, von Walter Nikkels für und mit Lothar Baumgarten realisiert.


Seven Sounds / Seven Circles
25. April bis 21. Juni 2009