Seriously Ironic

Seit einigen Jahren erlebt die zeitgenössische Kunst in der Türkei und besonders in Istanbul eine rasante Entwicklung. Die Metropole am Bosporus, wo Asien und Europa aufeinandertreffen und verschmelzen, entwickelte sich in kurzer Zeit zum aktuellen Kulturzentrum des Landes. Die Gruppenausstellung "Seriously Ironic" präsentiert zum ersten Mal anhand von vierzehn aufstrebenden oder bereits etablierten jungen türkischen KünstlerInnen die zeitgenössische türkische Kunstszene in der Schweiz.

Durch die Auswahl der teilnehmenden Kunstschaffenden und ihrer Werke werden verschiedene künstlerische Positionen vorgestellt: Ausgelotet werden sowohl ernste Anliegen wie die persönliche Geschichte, die Suche nach Identität, soziale, feministische, Umwelt- oder politische Anliegen wie auch konzeptuelle und visuelle Ansätze voll erfrischender Ironie.

Im Stadtviertel rund um Taksim spriessen in Istanbul in den letzten Jahren die Galerien, während an verschiedenen Standpunkten in der Stadt Kunstmuseen und andere Kunstorte gegründet werden. Basis für den Aufschwung dürften die Auswirkungen der seit 1987 durchgeführten International Istanbul Biennial und der seit 2006 stattfindenden Contemporary Istanbul Art Fair sein. Parallel zu dieser vitalen Entwicklung, die Istanbul zu einer Trendstadt werden liess, erregen immer mehr türkische KünstlerInnen weltweit Aufsehen.

Überhaupt stösst die aktuelle türkische Kunstszene international auf breites Interesse. 2008 war die Türkei als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Aus diesem Anlass wurde in Frankfurt die Ausstellung "Made in Turkey" durchgeführt, die Positionen zwischen 1978 und 2000 vorstellte. Bei Sotheby’s in London fand im März 2009 die erste Auktion Turkish Conemporary Art statt und an der 53. Biennale in Venedig präsentiert die Türkei in diesem Jahr einen eigenen Pavillon.

Auch die anderen kulturellen Bereiche wie der Film und die Literatur erleben international einen Aufschwung. Und schliesslich wurde Istanbul zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010 ernannt. Mit ein Grund für das Interesse am Land, das sich mitten im Aufbruch befindet und zwischen Tradition und Moderne steht, dürfte sein, dass die Republik Türkei seit 2005 als Kandidatin in Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union steht.

"Seriously Ironic" ist der erste bedeutende Kunstevent in der Schweiz, der anhand von vierzehn jungen aufstrebenden, teilweise bereits etablierten KünstlerInnen unterschiedliche Positionen dieser neuen Kunstszene vorstellt. Eine einzelne Ausstellung kann sicherlich nicht den Anspruch erheben, die gesamte aktuelle Kunstszene der Türkei widerzuspiegeln. Das versucht "Sersiously Ironic" auch gar nicht. Aus der Vielfalt werden ein paar einzelne Positionen gezeigt, die jedoch repräsentative Aspekte veranschaulichen.

Die von den Co-Kuratorinnen gemeinsam getroffene Auswahl konzentriert sich auf Werke von 2000 bis heute und zeigt, dass bis zu den Neuen Medien sämtliche Techniken vertreten sind und dass die Kunstschaffenden international orientiert sind, sowohl inhaltlich als auch örtlich. Viele von ihnen waren oder leben derzeit in anderen Ländern Europas und den Vereinigten Staaten.

Zwei Begriffe, die während den Vorbereitungen der Ausstellung immer wieder auffielen, sind Ernsthaftigkeit und Ironie, die vielleicht zunächst als Gegensätze interpretiert werden könnten, doch als "Seriously Ironic" eine gewisse Gemeinsamkeit aufzeigen und verschiede Themenkreise umfassen.

Ein zentrales Thema, das zahlreiche KünstlerInnen der Türkei beschäftigt, ist die Frage nach der Identität des Individuums innerhalb eines Landes, das so viele Identitäten in sich vereint und die damit verbundenen gesellschaftlichen, soziokulturellen, ethischen und politischen Konflikte. Die Werke zeigen, die KünstlerInnen sind sich ihrer Herkunft und der unterschiedlichen kulturellen Traditionen bewusst, sind selbstkritisch und setzen sich sowohl mit der Geschichte und der Gegenwart der Türkei als auch mit generellen sozialpolitischen Themen und mit dem Weltgeschehen auseinander.

Ironie ist eines der verbindenden Elemente im Umgang mit der persönlichen Geschichte, der Suche nach Identität, mit sozialen, feministischen, Umwelt- oder politischen Anliegen. Beeindruckend ist bei allen KünstlerInnen, dass sie nicht nur mit einer präzisen Sorgfalt arbeiten, sondern ihre Botschaften in jeweils einer Bildsprache umsetzen, die nicht vordergründig provokativ wirkt. Dolores Denaro


Publikation: Zur Ausstellung ist im Verlag für moderne Kunst Nürnberg eine dreisprachiger Katalog (englisch/deutsch/französisch) erschienen, mit Abbildungen der Exponate, Kurztexten von Isin Önöl zu den KünstlerInnen, einem einführenden Text von Dolores Denaro sowie Künstlerbiografien. Preise: CHF 25.- / CHF 45.- mit der Publikation "Collage - Décollage".

Seriously Ironic
28. Juni bis 30. August 09