Sehnsucht und Erfüllung

Die Villa Flora, bis anhin als Ort der Malerei international bekannt, präsentiert sich nun auch als Museum für Skulpturen. Als erster Ort in der Schweiz widmet sich das Winterthurer Museum dem Dialog zwischen den beiden für ihre und die nachfolgenden Generationen bahnbrechenden Plastiker Aristide Maillol und Wilhelm Lehmbruck. Speziell angefertigte Sockel aus Stahlblech präsentieren die Plastiken optimal und verbinden die Werke zu einer Raum übergreifenden Installation, welche die Skulpturen der beiden Künstler zur Einheit verbindet. Einige ausgewählte Bilder und Zeichnungen erweitern den Blick auf ihr Schaffen.

Als erster Ort in der Schweiz widmet sich die Villa Flora dem Dialog zwischen den beiden prägenden Bildhauern Aristide Maillol (1861–1944) und Wilhelm Lehmbruck (1881–1919). Damit stellt sie sich in die Reihe so namhafter Institutionen wie dem Museum of Modern Art, New York, das bereits 1933 Werke der beiden Künstler einander gegenüberstellte. In jüngster Zeit waren es die Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg und das Musée d’Orsay in Paris, die das Thema in erweiterter Form aufgegriffen haben. Nicht, dass sich das kleine Museum Villa Flora mit diesen grossen Ausstellungsorten messen möchte. Es zeigt den Dialog zwischen den beiden Künstlern ganz auf das Haus und seine Gegebenheiten zugeschnitten.

Eine Einrichtung mit Sockeln aus Stahlblech bringt die Werke zu bester Geltung, ohne die atmosphärische Wirkung der Räume zu beeinträchtigen. Die spezielle Präsentation verbindet die Werke zu einer Einheit, macht die Ausstellung gleichsam zu einer raumübergreifenden Installation. Für einmal kann die Villa Flora nicht nur als Ort der Malerei, sondern als Fokus der Plastik erfahren werden. Den intimen Räumen entsprechend, sind eher kleine Werke zu sehen. Dies will nicht heissen, dass nicht auch einige lebensgrosse Skulpturen in der Flora ihren Auftritt haben; so im grossen Oberlichtssaal Maillols "Vénus au collier" und Lehmbrucks "Stehende weibliche Figur", zwei unterschiedliche Manifestationen der Frau als Liebesgöttin.

Der Blick in den Garten führt zu den bedeutenden Maillol-Werken "L"Eté" und "Pomone". Ansonsten konzentriert sich die Ausstellung auf kleinere Figuren: auf die tänzerischen Statuetten Maillols, auf die Kindergestalten Lehmbrucks, auf die frühen Terrakottawerke Maillols und die stehenden, schlanken Figuren Lehmbrucks, auf die Badenden - sinnlich und vital bei Maillol, scheu, sich dem Betrachterblick entziehend, bei Lehmbruck. Die wunderbaren Büsten Maillols und Lehmbrucks finden zusammen und belegen das Bestreben beider Plastiker, die individuellen Merkmale der menschlichen Gesichtszüge zugunsten eines allgemeinen typenhaften Ausdrucks zu überwinden. Maillol wie Lehmbruck waren auch eindrückliche Maler. Ihre Bilder erlauben nochmals einen anderen Zugang zu ihrem Schaffen. Maillols Gemälde waren in der Schweiz selten zu sehen, Lehmbrucks Werke bisher noch nie. Zudem waren sie auch sensible Zeichner. Gerade in dieser intimen Ausdrucksweise zeigt sich ihre Nähe und Ferne unmittelbar.

Sowohl Maillol wie Lehmbruck widmeten sich ausschliesslich der Darstellung des Menschen und hier insbesondere dem weiblichen Körper. Für Maillol war er gar das Ausdrucksmedium schlechthin. Selbst Kriegsdenkmale nehmen bei ihm weibliche Gestalt an. Lehmbruck schuf bis 1914 ausschliesslich Frauen-Figuren, ab 1914 – nach den einschneidenden Erfahrungen des Krieges – vor allem männliche Gestalten. Die Ausstellung in der Villa Flora konzentriert den Dialog auf die Erscheinung der Frau und deren Verständnis im Werk der Künstler. Maillol sah in der Frau eine vitale Göttin, die Geliebte, die Muse und Lebensspenderin. Lange Zeit erfüllten sich seine Vorstellungen in seiner Partnerin Clotilde, später im Modell der jungen Dina Vierny. Auch Lehmbruck fand eine Zeit lang in seiner Frau Anita das ideale Vorbild. Sie entsprach seinem Ideal der Mutter und Madonna. Später, zerrissen im Kampf zwischen Trieb und Leidenschaft, bedeutete ihm die Erscheinung der Frau die Personifizierung seiner Sehnsucht.

Auch dieses Mal ist die Sammlung Hahnloser/Jäggli Ausgangspunkt und Motivation für die Ausstellung. Die Skulpturen und Zeichnungen von Maillol, die früh in die Sammlung gelangten, gaben den ersten Ausschlag zum Projekt. Sie wurden ergänzt durch Bilder aus der Fondation Dina Vierny – Musée Maillol, in Paris, und durch eine von Maillol bemalte Vase aus der Pariser Galerie Larock-Granoff. Die Lehmbruckwerke stammen weitgehend aus der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg sowie aus dem privaten Nachlass. Weitere Leihgaben kommen vom Kunsthaus Zürich, vom Kunstmuseum Winterthur, der Winterthurer Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte und von zahlreichen privaten Leihgebern. Angelika Affentranger-Kirchrath

Sehnsucht und Erfüllung
Maillol und Lehmbruck in der Villa Flora
17. April bis 22. August 2010