Sehnsucht Ich

Die Darstellung des Menschen ist eines der zentralen Themen in der bildenden Kunst. Die Ausstellung "Sehnsucht Ich" behandelt anhand von zeitgenössischen Kunstwerken aus der Sammlung Essl die vielfältigen Strategien, über künstlerische Ausdrucksmittel das menschliche Sein und sich Selbst zu begreifen oder auch in Frage zu stellen. Was macht uns Menschen aus? Wie vermag es ein Bild, den Menschen in seinem Ich und seiner Welt zu erfassen? Was erzählt es uns über den Künstler, die Künstlerin?

Zu sehen sind Malereien österreichischer und internationaler Künstlerinnen und Künstler, ergänzt durch ausgewählte skulpturale Arbeiten. Ein Ausstellungshighlight sind die großformatigen Gobelins des amerikanischen Fotorealisten Chuck Close, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Die einzelnen Galerieräume sind lose an die verschiedenen Lebensstadien des Menschen angelehnt. Die Menschenbilder reichen von Kinder- und Jugendszenen über Selbstportraits und Menschenbilder im Spannungsverhältnis zur Gesellschaft bis hin zu Reflexionen über Körper und Psyche, Vergänglichkeit, Tod und Erlösung. Neben diesem inhaltlich roten Faden begegnet dem Besucher auf formaler Ebene die ganze Bandbreite der gegenständlichen Malerei bis zur Auflösung der Figur.

Bereits im Foyer des Essl Museums zeugen Menschenbildnisse in "Petersburger Hängung" von den vielfältigen Möglichkeiten, sich diesem Thema künstlerisch zu nähern. Die Malereien zeigen meist junge Menschen und reichen von Siegfried Anzinger und Marie Luise Lebschik, über Michael Horsky und Martin Schnur bis zu Herbert Boeckl und vielen anderen mehr.

Unter dem Thema "Junge Menschen" begrüßt die Besucher im ersten Galerieraum ein überdimensional großes Bildnis eines neugeborenen Kindes. Auf den Stil des "Sozialistischen Realismus" reagierend, setzt der chinesische Künstler Fang Lijun selbstbewusst die Geburt seines Sohnes in Szene. Nicht mehr die Propaganda und Verherrlichung der kommunistischen Partei sind Inhalt der Malerei, sondern ein persönliches Ereignis von großer emotionaler Intensität. Daneben treffen verstörende Kinderdarstellungen von Teodora Axente auf gelangweilte Jugendliche von Muntean/Rosenblum und Katrin Plavcak, ein schießwütiger Junge von Wang Dajun begegnet drei unheimlichen Kinderskulpturen von Judy Fox.

Mit "Chuck Close – Experimentierfeld Ich" ist ein Raum dem bedeutenden amerikanischen Fotorealisten gewidmet. Er hat das Gesicht – insbesondere das eigene Abbild – als Hauptthema seiner Kunst auserkoren. "Close up"-Polaroidaufnahmen bilden die Vorlagen für seine Gemälde, Druckgrafiken und Gobelins. Die in der Ausstellung zu sehenden, großformatigen Tapisserien zeugen von der Meisterschaft dieses außergewöhnlichen Künstlers. Den denkbar größtmöglichen Kontrast zu Close’ minutiös umgesetzten Portraits bilden die "Face Farces" von Arnulf Rainer. Rainer malte keine Gesichter, sondern attackiert sein fotografisches Abbild mit Farbe und Pinsel.

Im größten Ausstellungsraum treffen unter dem Thema "Blick auf sich selbst" österreichische Künstlerinnen und Künstler auf internationale Positionen: Elke Krystufek auf Francesco Clemente, Peter Sengl auf Jörg Immendorff, Gottfried Helnwein auf Yue Minjun, Maria Lassnig auf Martin Kippenberger. Jonathan Meese ist neben Portraits seiner selbst in Foto, Malerei und Skulptur auch mit dem Titel gebenden Bild "Sehnsucht Ich" vertreten, das ein Foto des Schauspielers Klaus Kinsky zeigt. Über dem Raum wacht der riesige "Head of Man", eine Holzskulptur von Stephan Balkenhol.

In "Mensch und Gesellschaft" finden sich Beispiele für Menschenbilder im Spannungsverhältnis von Gesellschaft und Politik. Yang Shaobin führt uns die Gewaltbereitschaft chinesischer Uniformierter vor Augen, Daniel Richter imaginiert schemenhafte Gestalten von Bootsflüchtlingen, Jörg Immendorff sieht geradezu visionär bereits im Jahr 1980 Menschen auf der Berliner Mauer tanzen und Mona Hakimi Schüler erzählt von einer Gruppe protestierender Frauen im Iran. Rätselhaft-vieldeutig ist die Malerei von Neo Rauch, berührend die Studien eines Soldaten mit seiner Mutter von Asad Azi, oder kriegerisch bedrohlich ein Werk von Bilijana Djurdjevic.

"Körper und Psyche" sind immer wiederkehrende Motive und Themen in der Kunst. Bildnisse des verbitterten und gequälten Zöglings von Reimo Wukounig, starke Frauenfiguren von Adolf Frohner und eine Bilddichtung von Günter Brus stehen im Dialog zu der überlebensgroßen Skulptur zweier alter Männer von Virgilius Moldowan, die sich als Benedikt XVI. und Johannes Paul II. zu erkennen geben. Daneben sind auch der "Lebenszyklus" von Maria Lassnig sowie ein gemaltes "Denkmal für Gerstl" von Franz Ringel zu sehen.

Die Ausstellung endet mit zwei Räumen, die unter dem Thema einer körperlichen Auflösung und seelischen Erlösung stehen. Das "Memento Mori"-Motiv in Bildern von Herwig Zens und Markus Lüpertz steht den fast gänzlich abstrakten Bilder von Martha Jungwirth oder Jürgen Messensee gegenüber, in denen die Figur oft nur mehr als Ausgangspunkt für eine reine Malerei erscheinen. Körperliche und formale "Auflösung" bedingen einander. Ähnlich eine Skulptur von Andreas Urteil, die menschliche Körperteile zu originären skulpturalen Formen verwandelt. Der Auflösung sind auch Malereien von Siegfried Anzinger und Zoran Mušič verpflichtet, sie betonen mehr den Umraum als die kaum fassbare, geistig-flüchtige Gestalt.

Im letzten Raum bebildert Jörg Immendorff Leid, Todesahnung und Hoffnung auf "Erlösung", während Markus Lüpertz eine engelsgleiche Figur auftreten lässt. Mit einer Holztür von Antoni Tàpies, die nur mehr die menschlichen Fußabtritte erkennen lässt und einem gelben Auferstehungsschüttbild mit weißem Hemd von Hermann Nitsch schließt die Ausstellung.

KünstlerInnen: Siegfried Anzinger, Christian Ludwig Attersee, Teodora Axente, Asad Azi, Stephan Balkenhol, Herbert Boeckl, Arik Brauer, Piot Brehmer, Günter Brus, Francesco Clemente, Arnold Clementschitsch, Chuck Close, Biljana Djurdjević, Fang Lijun, Judy Fox, Adolf Frohner, Mira Gáberová, Mona Hakimi-Schüler, Gottfried Helnwein, Michael Horsky, Alfred Hrdlicka, Jörg Immendorff, Martha Jungwirth, Johanna Kandl, Martin Kippenberger, Elke Krystufek, Maria Lassnig, Marie Luise Lebschik, Rosa Loy, Markus Lüpertz, Marcin Maciejowski, Jonathan Meese, Jürgen Messensee, Virgilius Moldovan, Muntean/Rosenblum, Zoran Mušič, Hermann Nitsch, Oswald Oberhuber, Sergius Pauser, Katrin Plavčak, Arnulf Rainer, Neo Rauch, Daniel Richter, Franz Ringel, Martin Schnur, Peter Sengl, Antoni Tàpies, Oswald Tschirtner, Andreas Urteil, Wang Dajun, Reimo Wukounig, Yang Shaobin, Yue Minjun, Herwig Zens

Sehnsucht Ich
27. September 2013 bis 12. Februar 2014