Neuerdings häufen sich die Fälle von Schimmelbefall: zuerst am Innsbrucker Ferdinandeum, zuletzt an der Österreichischen Nationalbibliothek. Feuchter Sommer? Und: Macht Schimmel bei Dauerregen auch Saitensprünge?
Die Frage wurde zuerst von der britischen Violinistin Rachel Podger aufgeworfen. Während eines Konzertes — es war jenes am 18. August bei den Innsbrucker Festwochen auf Schloss Ambras — wollten die Darmsaiten nicht immer so, wie sie sollten. Auf dem Programm stand Virtuoses von Bach, Biber und Giovanni Battista Fontana. Die Feuchtigkeitsverhältnisse, so erklärte die erfrischende Musikantin, sei für das mutwillige schabende Kratzen verantwortlich, das — erzeugt im Zusammenspiel zwischen Saite und Bogen — gelegentlich an die verwöhnten Ohren des »warmen« Publikums drang; ein Tribut, den die Alte Musik dem Schimmelreiter zu zollen habe, fügte die Spezialistin fachkundig und unmissverständlich hinzu. Jawohl, man hatte richtig gehört: dem Schimmelreiter!
Das war aber nun wirklich doch jene Figur, welche die Weltliteratur dem Husum'schen Schriftsteller Theodor Storm schuldet! Ein Ammenmärchen des 19. Jahrhunderts! Na, erläuterte Podger, das mit dem Schimmelreiter sei auch nur eine Anspielung. In Wahrheit seien die von der Wissenschaft so bezeichneten Sporentierchen klitzeklein und mit freiem Auge nicht zu sehen. Und selbstverständlich auch nicht die seepferdchenähnlichen Viecher, auf denen sie reiterartig sitzen. Insgesamt könne man als Musiker nichts gegen sie machen — zumindest als Violinist. Gary Cooper (sic!), der als ihr Partner am Cembalo saß, machten die Schimmelreiter nicht zu schaffen, weil die während extremer Feuchtigkeitsperioden auftretenden Störenfriede ausschließlich Lust auf Darm (Saiten) und Pferdehaar (Bogen) haben.
Und Papier, wie sich jetzt herausstellte: Teile der Inkunabeln-Sammlung an der Österreichischen Nationalbibliothek wurden nämlich nachgewiesenermaßen von Schimmelreitern befallen. Der Befall ereignete sich laut Sammlungsleiter Helmut Lang im Aurum-Depot, einem zwölf Meter unter der Erde liegenden Kellergewölbe aus dem 16. Jahrhundert, wo die wertvollen Frühdrucke seit 1966 eingelagert sind. Auf die Schimmelreiter habe man zu spät reagiert, weil die verantwortlichen Experten das Klopfgeräusch, das der Schimmelreiter-Galopp erzeugt, fälschlich den Holz- und Buchwürmern zugeschrieben habe. Das Ferdinandeum in Innsbruck wiederum rechtfertigt jetzt den Schimmelskandal um die dortigen Ölgemälde-Bestände mit der Hinterfotzigkeit der unerforschten Spezies »Schimmelreiter«. Man habe a) nicht gewusst, dass es diese Untiere überhaupt gebe (trotz hauseigener naturwissenschaftlicher Abteilung) und b) erst recht nicht, dass diese auch während der kalten Saison aktiv seien und Leinwand bzw. Ölfarbe ebenfalls auf ihrem Speisezettel stünden. Oder irre ich?
Und wenn schon! »Errare humanum est«, sagt Vater Hieronymus (Epistulae 27,12), und wir sind schließlich alle bloß Menschen.
Quelle: profil 34/05