Schillernd. Frederick Kiesler

Als Phänomen bewundert, leistete Frederick (Friedrich) Kiesler mit seinem einzigen realisierten größeren Bauwerk, dem Schrein des Buches, das nach fast zehn Jahren Planungszeit 1965 fertig gestellt wurde, einen bahnbrechenden Beitrag zur Kunst und Architektur.

Kiesler (geb. 1890 in Czernowitz, gest. 1965 in New York) war ein österreichisch-amerikanischer Architekt, Künstler, Designer, Bühnenbildner und Theoretiker, ein wahrer Visionär der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Zu seinem Begräbnis versammelten sich vierhundert Leute aus der Kunstszene in New York, und der Tänzer Erick Hawkins sagte in seiner Trauerrede: "If Kiesler was an unique man it may be because he loved composers like a composer, poets like a poet, actors like an actor and dancers like a dancer" und sinngemäß weiter: Wenn irgendwo zeitgenössische Musik gespielt wurde, Kiesler war da, wenn ein junger Dichter seine Gedichte veröffentlichte, Kiesler hatte das Buch, wenn ein neuer Kunstfilm gezeigt wurde, Kiesler war im Publikum.

Das erfahren wir im ersten Kapitel mit dem Biografischen Sammelsurium und über die Knoten im Netzwerk, in der Publikation "Face to Face with the Avant-Garde", die 21 Essays veröffentlicht, die sein schillerndes Leben und facettenreiches Werk in verschiedenen Kontexten verorten und Kiesler in einen Dialog mit den bedeutendsten Künstlern und Architekten seiner Zeit bringen. Wichtiger Partner für die wissenschaftliche Aufarbeitung war die Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung in Wien, deren Aufgabe es ist, das Erbe des Architekten zu erforschen und der aktuellen Architektur- und Kunstproduktion einzuschreiben. Der Fokus des Buches liegt jedoch auf den blinden Flecken in der Kiesler-Forschung, vor allem auf den 1920er Jahren – diese Zeit verbrachte er in Berlin, Wien und Paris – und auf seinem späteren Leben. Einzel- und Fallstudien sowie eine ineinandergreifende Analyse seines Lebens und Werkes bilden die Struktur dieser Anthologie.

Piet Mondrian zum Beispiel wird so gut wie nie mit Kiesler in Verbindung gebracht, dabei gibt es interessante Anknüpfungspunkte. Illustriert wird dies auch mit einem Gruppenfoto, das 1942 in Peggy Guggenheims Apartment aufgenommen wurde, wo neben schillernden Persönlichkeiten wie Max Ernst, Fernand Léger, Amédée Ozenfant, Marcel Duchamp, diese beiden vertreten sind. Duchamp taucht wiederum im fünfzehnten Essay "Marcel-Imprint" auf und sehr prominent auch auf dem Cover mit dem lässigen Gruppenfoto vor einem Wohnhaus. In Format und Haptik liegt das Buch sehr angenehm in der Hand, schönes Braun rahmt das atmosphärische Bild, die Buchseiten im Cremeton und gut lesbar gesetzt, mit auffallend übersichtlichen Anmerkungen am Ende jedes Kapitels: Eine Einladung wählerisch hineinzulesen und sich dem "größten nichtbauenden Architekten" seiner Zeit – wie Philip Johnson ihn bezeichnete – mit seinen komplexen und transdisziplinären Ansätzen anzunähern.

Frederick Kiesler: Face to Face with the Avant-Garde
Essays on Network and Impact
Herausgeber: Peter Bogner, Gerd Zillner, Frederick
Kiesler Foundation
Englisch, 360 S, Hardcover, 17,5 x 23,1 cm
Verlag: Birkhäuser, 2019
ISBN: 978-3-0356-1550-0