Schall und Rauch

6. Juli 2011 Rosemarie Schmitt
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Der Ton macht die Musik und der Text ausgesprochen viel Spaß. Außerdem ist es nicht so wie es klingt! Ich kann alles erklären!: Die Töne dieser aktuellen CD des Huelgas Ensembles wurden komponiert zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Das Madrigal, das Lied, die Hymne, die Ballade, ganz so wie man es erwartet von Paul van Nevel und seinen Spezialisten für Alte Musik, dem Huelgas Ensemble. Musikwissenschaftlich gesehen bedeutet Kontrafaktur die textliche Neubearbeitung eines weltlichen Liedes mit einem geistlichen Text. Aber die Texte (von meist wenig bekannten, doch allesamt bereits toten Dichtern und Schriftstellern) welche Van Nevel den Kompositionen zuordnete, sind alles andere als geistlich!

"O liebe ihn, denn ich werde es dir beweisen. Die Liebe macht den Dicken mager. Die Liebe läßt den Übermut versiegen. Die Liebe läßt Männer von Ufer zu Ufer segeln. Diese zärtliche Liebe macht oft die Männer arm. Die Liebe läßt Männer die feige Furcht verachten. Die Liebe entzweit oft die Männer..."

Sollten Sie über noch nicht englisch-,- französisch- oder spanischsprachige Kinder verfügen (oder jene, über Sie), können Sie "The Art of the Cigar" bedenkenlos auch in deren Anwesenheit genießen, denn das Huelgas Ensemble singt die meisten der Texte in eben diesen Sprachen, und zwar "allerfeinst"! Außerdem werden Ihre Zöglinge bei dem Klang von soviel "Madrigalem" sich ohnehin vermutlich ebenso schnell wie kopfschüttelnd wieder entfernen. Ja, meine lieben Kleinen, der Ton macht zwar die Musik, aber der Text in diesem speziellen Falle den Spaß! Aber ihr wollt ja meist partout nicht zuhören!

Rudyard Kipling, der das "Dschungelbuch" schrieb, wagt in "open the old cigar-box" gar den Vergleich Frau oder Zigarre? Eine schwere Wahl?:

"Hier ist eine milde Manila,
da ist ein frauliches Lächeln.
Was ist der bessere Teil?
Verbundenheit mit einem Ring erkauft
oder ein Harem fünfzig dunkler Schönheiten, eine an der anderen?"

Die ein oder andere Zigarre wird hin und wieder jedem gereicht, sei es ihm recht oder nicht, ob passionierter Raucher oder renitenter Nichtraucher. In diesem ganz speziellen Falle verspricht diese Zigarre wahren Genuß, und ein luxuriöser obendrein! Eine gewisse Suchtgefährdung jedoch vermag ich nicht auszuschließen, wohingegen Sie keinerlei gesundheitsschädigende Auswirkungen zu befürchten haben durch das Hören dieses Liedes:

"Der Mensch ist wie eine Zigarre,
befriedigt nicht jeden egal.
Man findet zu stark und zu scharf ihn
Man schilt ihn zu leicht und zu schal.
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
kommt manchmal nur mühsam zum Zug,
oft, weil er zu schief ist gewickelt,
und oft, weil nicht locker genug!
Doch brennt er nun schwach oder feste,
verknistert er früh oder spät:
Blauer Dunst ist am Menschen das Beste,
und Asche das Resultat.
Der Mensch ist wie eine Zigarre,
er lebt nur, solang er noch glüht.
Solange verlangend tief innen
Die Sehnsucht noch zündet und sprüht!
Und muss es ihn zärtlich verzehren,
dies Glühen so prächtig und rot,
auf allen Lebensaltären
loht feuriger, freudiger Tod."

Die für mich eindruckvollste Zeile stammt aus dem Text zu der Komposition des Spaniers José Peyró "De Vuelta Abajo o de Oriente":

"Ich bin das Glück aller, denn ich bin die Illusion!"

Das von Sony Music (deutsche harmonia mundi) veröffentliche Album ist zum Glück keine Illusion und viel mehr als "nur" eine CD. Es ist überdies ein sehr edles Büchlein mit herrlichen Illustrationen, Informationen zu den Werken, den Liedtexten in Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch, und über die Geschichte der Zigarre. Und es ist nicht so wie es zunächst einmal klingt. Ich hoffe, ich konnte es erklären. Falls nicht, hören Sie doch selbst.
So wunderbar kann Schall und Rauch sein!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt