Sammlung Götz zeigt Paul Pfeiffer

Zum ersten Mal zeigt die Sammlung Goetz in einer Einzelpräsentation Werke des US-Amerikaners Paul Pfeiffer. Die rund 30 ausgestellten Video- und Soundinstallationen sowie Skulpturen und Fotografien gewähren einen umfassenden Einblick in das OEuvre des Künstlers von 1998 bis heute. Pfeiffers Arbeiten beschäftigen sich mit massenmedialen Phänomenen unserer globalen Gesellschaft, z. B. Starkulten, Sportspektakeln und Filmklassikern. Dabei arbeitet er ausschließlich auf Grundlage bereits vorhandener Bilder sowie Film- und Tonsequenzen. Mittels digitaler Bearbeitung manipuliert er originale Bildvorlagen auf verschiedenste Weise und präsentiert sie uns aus einem neuen Blickwinkel. Pfeiffer wirft so Fragen nach Identität, ihrer Rekonstruktion und unserer Abhängigkeit von den Massenmedien auf.

24 Landscapes, 2000/2008, ist eine fotografische Serie schlichter, meist unscharfer Strandaufnahmen, die im ersten Moment an beliebige Urlaubsaufnahmen am Meer erinnern. Nur Kenner werden diese Fotografien als Sets von Porträtaufnahmen Marilyn Monroes entlarven, die 1962, einige Monate vor ihrem Tod, für den Fotografen George Barris an einem kalifornischen Strand posierte. Mithilfe von Photoshop verbannte Pfeiffer alle Spuren der Filmikone aus den Fotos und rekonstruierte den Hintergrund an ihrer Stelle. So führt er dem Betrachter die Strände als leere Kulissen vor, die nun zu eigenständigen Landschaftsaufnahmen werden.

In ähnlicher Weise verfährt der Künstler mit den Videoarbeiten The Long Count (I Shook Up the World), 2000, und The Long Count (Rumble in the Jungle), 2001, die auf zwei legendären Boxkämpfen mit Cassius Clay alias Muhammad Ali basieren. Aus beiden Originalübertragungen entfernte Pfeiffer in minutiöser Arbeit am Computer die Protagonisten. Lediglich eine Art Pixelaura der Figuren wandert im Boxring fast unmerklich hin und her und dehnt gelegentlich die Seilumspannungen. Die Zuschauermenge im Hintergrund scheint unsichtbaren Geistern zuzujubeln. Der fehlende Ton trägt dazu bei, dass beim Betrachter Erinnerungsvermögen und Fantasie bestärkt werden.

Pfeiffers spezifisches Interesse am sportlichen Wettkampf zeigt sich auch in der Installation Caryatid (Red, Yellow, Blue), 2008. Auf drei nebeneinander platzierten Monitoren bewegen sich nacheinander – jeweils nach Trikotfarbe und filmischen Einstellungsgrößen sortiert – verschiedene Fußballspieler. Wie von Geisterhand bewegt, stolpern und fallen die Spieler in Zeitlupe, rollen über das Spielfeld und kommen schließlich am Boden zum Liegen. Die foulenden Gegenspieler wurden von Pfeiffer in den jeweils nur wenige Sekunden andauernden Videosequenzen mitsamt Ball akribisch entfernt. So wirken die Protagonisten nicht mehr wie Sportler, sondern wie Gemarterte, die ein tragisches Schicksal ertragen müssen. Bei Caryatid (2009), 2009 manipuliert Pfeiffer Profi-Wrestler, die nach einem Kampf geschlagen am Boden liegen. Aufgrund der Herauslösung aus ihrer Umgebung durch die Wahl eines begrenzten Bildausschnitts wirken die schweißgebadeten, erschlafften Körper, als hätten sie gerade einen sexuellen Akt und nicht einen martialischen Kampf hinter sich.

Welche Beeinflussung durch Massenmedien erfolgen kann, untersucht Pfeiffer bei Live from Neverland, 2006. Ein Monitor zeigt die Originalübertragung aus dem Fernsehen mit der Unschuldsbeteuerung Michael Jacksons, der wegen Kindesmissbrauchs angeklagt war, 2005 jedoch freigesprochen wurde. Die Originalstimme des Popstars ersetzte Pfeiffer mit dem im Wortlaut übereinstimmenden Sprechgesang einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen, deren feierliche Darbietung im Stile eines Chors der griechischen Antike großformatig auf eine Wand projiziert wird.

Das Verhältnis zwischen Menschenmasse und Idol wird in den Werken Study for Jerusalem #1 und Study for Jerusalem #2, beide 2006, thematisiert. Pfeiffer projiziert mithilfe von Minibeamern Videosequenzen auf die Innenwände von Architekturmodellen, in die der Betrachter durch kleine Öffnungen hineinsehen kann. Einer der abgebildeten Filme zeigt ein Livekonzert – allerdings bleibt die Bühne bis auf die grelle Licht- und Nebelshow und ein im Zentrum platziertes Schlagzeug leer; Pfeiffer entfernte digital alle Musiker bis auf eine Person. Allein die in regelmäßigen Abständen abrupt einsetzenden ‚Call-and-Response‘- Gesänge zwischen Popstar und Publikum entlarven das Konzert als eine Performance der britischen Rockgruppe Queen aus den 1980er-Jahren mit ihrem berühmten Frontmann Freddie Mercury.

Als weiteren Ort räumlicher und ekstatischer Massenerfahrung macht Pfeiffer das klassische Fußballstadion aus. Seine Installation Vitruvian Figure, 2009, besteht aus einem viertelovalen Architekturmodell einer Sportarena, das an zwei Seiten übereck von Spiegelwänden begrenzt ist. Blickt der Betrachter über den Rand der Arena, offenbart sich ihm die raffinierte Technik des Spionspiegelglases, das maßstabsgetreu das Londoner Wembley-Stadion erscheinen lässt. An dieses Raumerlebnis knüpft die Video- und Soundinstallation The Saints, 2007, an. Auf einem Miniatur-LCDMonitor ist die Schwarz-Weiß-Übertragung eines Sportlers zu sehen, der alleine und ohne erkennbares Ziel auf einem Spielfeld umherläuft. Die begleitenden Jubelgesänge aus zahlreichen Kanälen erklären sich durch den zweiten Teil der Arbeit, der in einem separaten Raum gezeigt wird: In einer Doppelprojektion sind neben dem Originalpublikum aus dem Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft von 1966, in dem die englische Mannschaft die westdeutsche besiegte, junge Philippiner zu sehen, die die Fans des legendären Spiels mir ihren Stimmen imitieren.

Ähnliche Werke, die unsere Wahrnehmung von unterschiedlichen Größenverhältnissen herausfordern, sind die Installationen Dutch Interior, 2001, und Cross Hall, 2008. Letztere bezieht sich auf ein Abbild der gleichnamigen Halle des US-amerikanischen Weißen Hauses, vor deren Hintergrund der Präsident seine Fernseh-Ansprachen hält. Beide Arbeiten bestehen aus großflächigen Projektionswänden, die ein Livebild zeigen, das sich aus einem Diorama generiert. Dieses befindet sich jeweils auf der Rückseite der Installationsfläche und ist durch ein winziges Guckloch auf Augenhöhe einsehbar. Durch die richtige Platzierung der puppenhausgroßen Schaubilder vermittelt sich dem Betrachter eine räumliche Tiefe und Wirklichkeitsnähe, die nahezu erschreckend ist.

Paul Pfeiffer (*1966 in Honolulu, Hawaii) lebt und arbeitet in New York City. Er studierte bis 1987 am San Francisco Art Institute und anschließend bis 1994 am Hunter College in New York. Von 1997 bis 1998 nahm er am Independent Study Program des Whitney Museum of American Art teil. Ihm wurden mehrere Einzelausstellungen in nationalen und internationalen Museen gewidmet, z. B. 2000 bei Kunst-Werke Berlin, 2001 im Whitney Museum of Modern Art in New York, 2003 im Museum of Contemporary Art in Chicago, 2004 im K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, 2008 im Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León (MUSAC) in Spanien und 2009 in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin. 2010 erhielt er den Bucksbaum Award des Whitney Museum of American Art.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Cornelia Gockel, Ingvild Goetz, Paul Pfeiffer/Hal Foster, Stephan Urbaschek und Leo Lencsés/Katharina Vossenkuhl (dt./engl.).

Paul Pfeiffer
9. Mai bis 1. Oktober 2011