Sammlung Goetz zeigt Arbeiten von Mona Hatoum

Die Sammlung Goetz widmet der palästinensisch-britischen Künstlerin Mona Hatoum zum ersten Mal eine umfassende Einzelausstellung. Nach Gruppenpräsentationen in Art from the UK (Sammlung Goetz, 1997/98) und in Emotion – Junge britische und amerikanische Kunst aus der Sammlung Goetz (Deichtorhallen Hamburg, 1998/99) präsentiert Ingvild Goetz nun Skulpturen, Installationen, Videos, Video-Dokumentationen früherer Performances und Fotografien der Künstlerin.

Im Mittelpunkt ihres Schaffens steht der menschliche Körper in seinen verschiedenen Bezügen zur Welt, seiner Verletzlichkeit und seiner Unterwerfung durch institutionelle Zwänge. Die raffinierte, oft paradoxe Darstellungsweise dieser Inhalte lassen den Betrachter ihre Kunst in erster Linie sinnlich erleben. Sie kann Emotionen wie Betroffenheit, Faszination, Furcht und Abscheu – oft zeitgleich – beim Betrachter auslösen. Hatoum hat in den vergangenen 30 Jahren ein komplexes, vielseitiges Werk geschaffen, für das ein Repertoire an stetig wiederkehrenden Formen, Strukturen und Methoden charakteristisch ist.

Zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere in den frühen 1980er-Jahren arbeitete die Künstlerin vornehmlich im performativen Bereich. So konnte sie verschiedene Ideen und Konzepte verwirklichen und gleichzeitig eine direkte Resonanz durch das Publikum erfahren. In der Ausstellung sind einige dieser Performances als filmische Dokumentationen zu sehen. Sie werden jeweils später entstandenen Werken gegenübergestellt. Für "Don’t Smile You’re on Camera!", 1980, filmte Hatoum mit einer Kamera Personen aus dem Publikum. Die Bilder werden direkt auf einen für alle sichtbaren Bildschirm übertragen, der die Aufnahmen mit Sequenzen nackter Körperteile sowie Röntgenbilder überblendet zeigt. So entsteht der Eindruck, die Videokamera könne durch die Kleidung der Zuschauer sehen.

Bei "Variation on Discord and Division", 1984, tritt die Künstlerin als vermummte Person auf und führt eine Reihe von Handlungen aus, die an sklavische Hausarbeit und rabiate Ausbruchsversuche erinnern: Ein mit Zeitungspapier ausgelegter Boden wird von ihr bis zur Erschöpfung mit zwei Bürsten geschrubbt, die sie immer wieder in einen mit blutroter Flüssigkeit gefüllten Eimer taucht. Am Ende der Performance deckt Hatoum einen Tisch und serviert Teller mit Stücken von Eingeweiden, die sie sich mit einem Messer vermeintlich aus dem eigenen Leib geschnitten hat. Als Speisen werden sie sodann an das Publikum verteilt. Diese teils brutalen und politisch anmutenden Elemente kommen auch in späteren Installationen und Objekten vor.

Die Installation "Deep Throat", 1996, zeigt einen für eine Person gedeckten Tisch mit Stuhl. Statt einer Mahlzeit ist auf dem Teller das geloopte Video eines menschlichen Schlunds zu sehen. Es läuft auf einem Monitor, der den Boden des Tellers ersetzt und nur von seinem Rand eingefasst ist. Das Bildmaterial ist einer früheren Arbeit entliehen, für die sich Hatoum eine endoskopische Kamera in verschiedene Körperöffnungen einführen ließ und so eine Reise durch ihr Inneres dokumentierte. Ihre Affinität, mit dem eigenen Körper zu arbeiten, ist auch in diversen Werken sichtbar, für die sie ihr Haar als Werkstoff verwendet. In Moutons, 1994, präsentiert die Künstlerin ihr zu kleinen Kugeln geformtes Kopfhaar, das sie über Jahre hinweg nach dem Waschen gesammelt hat.

Das Spiel mit dem Herkömmlichen, dem Vertrauten und Wohlbekannten, das sich erst auf den zweiten Blick in ein bedrohliches Szenario verwandelt, findet sich auch bei der raumgreifenden Arbeit Home, 1999, wieder, die erstmals 2002 Beachtung auf der Documenta XI fand. Auf einem rechteckigen Tisch sind klassische Küchenutensilien wie Seiher, Reibe, Schöpflöffel, Trichter und Fleischwolf platziert und über elektrische Kabel und Klemmen in einem Stromkreis miteinander verbunden. In unregelmäßigen Abständen leuchten unter den Geräten Glühbirnen auf und sorgen für ein ästhetisches Lichtspiel. Gleichzeitig signalisieren das surrende und knisternde Geräusch von Hochspannungsleitungen sowie die Absperrung aus quer gespannten Drahtseilen akute Lebensgefahr.

Gebrauchsgegenstände aus der Küche sind ebenso Gegenstand einer Reihe von Skulpturen, die die Künstlerin als vermeintliche Readymades präsentiert. Ein überdimensionaler Eierschneider, Slicer, 1999, und ein Paravent in Form aneinandergehängter Universalreiben, Paravent, 2008, wirken faszinierend, wecken aber zugleich auch körperliches Unbehagen. Ein Sieb und eine Schöpfkelle aus Edelstahl in Originalgröße, "No Way", 1996, und "No Way II", 1996, machte Hatoum untauglich, indem sie beide Löcher mit Schrauben abdichtete. Ein aus Edelstahl gefertigter Rollstuhl würde Helfer verletzen, da seine Handgriffe durch scharfe Messerklingen ersetzt sind. So werden bekannte Gegenstände zu absurden Objekten, die die Verrücktheit der Welt nicht nur überspitzt darstellen, sondern persiflieren.

"Hot Spot", 2009, ist ein Beispiel für Hatoums Weltbetrachtungen. Eine aus Stahlnetz gefertigte Kugel ist mit Neondraht überzogen, in leuchtendem Alarm-Rot sind die Konturen der Kontinente nachgezeichnet. Wie ein Mahnmal ruht die Kugel auf dem Boden eines dunklen Raums und lässt an Katastrophen, Kriege und andere Szenarien denken, die die Welt aus ihren Fugen heben können. Gleichsam spinnt Hatoum in der Bodeninstallation "Undercurrent (Red)", 2008, ein Weltbild, das sich im fortgeschrittenen Auflösungsprozess befindet: ein quadratischer Teppich, aus stoffummantelten Stromkabeln gewebt, zerfasert an seinen Außenrändern. Die Stromkabel fliehen geradezu in alle Richtungen und beschreiben in einem locker gelegten Muster einen weitläufigen Kreis. An den Kabelenden befestigte Glühbirnen illuminieren sanft und gleichmäßig pulsierend den Kreisumfang.

Das Video "Measures of Distance", 1988, spiegelt wohl am besten die persönliche Geschichte der Künstlerin wider: Durch den 1975 im Libanon einsetzenden Bürgerkrieg wird sie von ihrer Familie getrennt und lebt fortan im Exil in London. Die Arbeit erzählt auf akustischer und visueller Ebene von ihrer Beziehung zur Mutter während der Zeit der Trennung und lässt gleichsam die Unterschiedlichkeit der beiden Welten erahnen, zwischen denen sich Hatoum bewegt.

Mona Hatoum (*1952 in Beirut, Libanon) lebt und arbeitet in London und Berlin. Sie studierte in London von 1975 bis 1979 an der Byam Shaw School of Art und von 1979 bis 1981 an der Slade School of Arts. Seit den frühen 90er Jahren wurden ihr regelmäßig Einzelausstellungen in internationalen Museen gewidmet, z. B. 1994 im Centre Pompidou in Paris, 1996/97 im de Appel arts centre, Amsterdam und 1997/98 im Museum of Contemporary Art in Chicago.

Die Ausstellung wurde im Anschluss im New Museum in New York, im Museum of Modern Art in Oxford und in der Scottish National Gallery of Modern Art in Edinburgh gezeigt. 2000 waren ihre Arbeiten in der Tate Britain in London zu sehen, 2004 in der Hamburger Kunsthalle mit weiteren Stationen im Kunstmuseum Bonn und im Magasin 3 Stockholm Konsthall in Stockholm. 2009 präsentierte sie ihre Arbeiten in der Fondazione Querini Stampalia in Venedig und im Ullens Center for Contemporary Art in Peking. Hatoum nahm außerdem an zahlreichen Biennalen teil. 2004 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms DAAD, 2010 wurde sie mit dem Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet, 2011 mit dem Joan-Miró-Preis.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Ingvild Goetz und Rainald Schumacher sowie einem Werkverzeichnis von Leo Lencsés (dt./engl.): Mona Hatoum, hrsg. von Ingvild Goetz, Rainald Schumacher und Larissa Michelberger, 100 Seiten, ca. 100 Abbildungen in Farbe, Hatje Cantz Verlag.

Mona Hatoum
21. November 2011 bis 5. April 2012