Sammlung Goetz präsentiert Arbeiten von Ulrike Ottinger

Die Sammlung Goetz präsentiert im Base103 die neu erworbene Videoinstallation "Floating Food" (2011) sowie Fotoarbeiten der deutschen Filmemacherin und Fotografin Ulrike Ottinger. Im Zentrum von "Floating Food" stehen sieben Videoprojektionen, in denen die Künstlerin Ausschnitte aus ihrem umfangreichen filmischen OEuvre neu montiert und in einen installativen Zusammenhang bringt. Ulrike Ottinger führt hierfür dokumentarische Aufnahmen ihrer Reisen in außereuropäische Länder und Kulturen mit Sequenzen aus ihren Spielfilmen zusammen, die sich überwiegend mit fantasievollen Darstellungen gesellschaftlicher Randgruppen beschäftigen.

Ethnografische Schilderungen entlegener Landstriche und fremdartiger Lebensweisen wechseln sich mit surreal anmutenden Inszenierungen ab, für deren märchenhafte und exotische Ausstattung sowie ausgefallene Vertonung Ottinger bekannt ist. So begibt sich der Betrachter von "Floating Food" auf eine Gratwanderung zwischen Dokumentation und Inszenierung, Mythos und Geschichte, Tradition und Gegenwart, distanzierter Beobachtung und akribischem Blick aufs Detail – und erlebt ein faszinierendes Porträt unterschiedlicher Kulturen und sozialer Phänomene. "Floating Food" steht exemplarisch für das in über vier Jahrzehnten entstandene Werk der Künstlerin und ihren außergewöhnlichen Blick für Schönheit und Härte der menschlichen Existenz. Die Videoinstallation wird ergänzt von einer Auswahl von Fotografien, die im Kontext der Filmprojekte als eigenständige Arbeiten entstanden sind.

Ottinger realisierte "Floating Food" ursprünglich im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen für das Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das sie 2011 einlud, eine Arbeit zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen – Nahrung und Wasser – zu konzipieren. Die eigens für die Sammlung Goetz adaptierte Version dieses großteiligen Werks lädt den Besucher zum kontemplativen Verweilen in einer kunstvoll dekorierten Fantasiewelt im unterirdischen Teil des Museums ein. Auch die neben dem Museumsgebäude aus der Erde ragenden Fichtenstämme sind Teil des Kunstwerks: Mit ihren geschnitzten Kronen und langen roten Stoffbändern stehen sie in vielen asiatischen Kulturen als Schamanenbäume für die Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Der Weg in die Ausstellung führt durch einen Lamellenvorhang, auf den der erste Film "Vorhang" projiziert wird: eine märchenhafte Strandszene am Meer mit zwei aufwendig kostümierten Darstellern – ein Ausschnitt aus dem Film "Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse" (1984). Dahinter erwarten den Besucher sechs weitere Projektionen. Sie zeigen Collagen aus jeweils bis zu neun verschiedenen Filmen und variieren die zentralen Themen von "Floating Food": Formen des Umgangs mit Nahrungsmitteln in verschiedenen Kulturen – von Handelswegen und Märkten über Schlachtrituale und Festivitäten bis zu Zubereitung und Verzehr.

In der Projektion "Wasserwege" widmet sich Ottinger einem der Ursprünge der Globalisierung: dem Austausch und Transport von Menschen, Waren und Kulturgütern auf Flüssen, Meeren und Seen. In "Dubai" (2009) fahren entlang blitzender Wolkenkratzer archaisch anmutende Dampfer, Kutter und Taxiboote. Für "Taiga" (1992) war Ottinger als erste weibliche Filmerin aus dem Westen in der Mongolei unterwegs. Der Film zeigt Alltagsszenen der Yak- und Rentiernomaden, deren Wanderwege von der Suche nach Wasser und Nahrung bestimmt werden. Mit Szenen aus "Bildnis einer Trinkerin" (1979) findet eine völlig andere Auseinandersetzung mit dem Thema Flüssigkeit Eingang in die Collage: Die Protagonistin gibt sich auf einer Reise durch Berlin ihrer Leidenschaft für den Alkohol hin.

Für "In der Provinz Sichuan März 1985. Shanghai Spring" verbindet Ottinger Szenen aus ihren Filmen "China. Die Künste – der Alltag" (1985) und "Exil Shanghai" (1997). Hier findet der Austausch und Transport von Gütern auf dem Landweg statt. Auf einer stark frequentierten Straße in der chinesischen Povinz transportieren Menschen alles Mögliche und schier Unmögliche vom Schwein bis zum Holzbalken auf ihren Fahrrädern. Sie manövrieren ihre Güter zwischen Passanten, Lastwagen und anderen motorisierten Gefährten.

"Auf dem Schischgid zu den Rentiernomaden der Taig" ist eine Collage, die menschenleere Landschaften der Mongolei zeigt. Ottinger hat die faszinierenden Naturaufnahmen aus ihrem Film "Taiga" destilliert und vor der Projektionsfläche den Nachbau eines historischen Kanus aus Holz und Leinwand platziert, der die Bilder schwerelos zu begleiten scheint. In "Märkte" geht es um die Alltagsästhetik des Handels: Die Künstlerin beobachtet in China und den ehemaligen Sowjetrepubliken das Treiben von Straßenverkäufern, die ihre Waren feilbieten ("Südostpassage", 2000). Diese Eindrücke verknüpft sie mit Bildern aus einer Straße in Seoul, in der ausschließlich mit Medizinkräutern gehandelt wird ("Die Koreanische Hochzeitstruhe", 2008).

"Von der Hand in den Mund" ist eine Montage aus Szenen, die Orte und Momente menschlicher Nahrungsaufnahme vereinen. Aus "Taiga" stammen Aufnahmen mongolischer Nomaden bei der Viehzucht und Herstellung von Milchprodukten, bei der Tötung, Häutung und Zerlegung eines Schafs und dessen Verzehrs in großer Gesellschaft. In "Rituale" arrangiert Ottinger schließlich Szenen aus "Johanna d’Arc of Mongolia" (1989), einer inszenierten Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn, auf der reisende Frauen aus Westeuropa mit Alltagsritualen und Zeremonien eines mongolischen Volks vertraut gemacht werden. Diese Bilder sind mit Passagen aus dem Film "Freak Orlando" (1981) und mit Tempel- und Hochzeitsritualen aus "Die Koreanische Hochzeitstruhe" kombiniert.

In drei weiteren Räumen hat die Künstlerin verschiedene Werkgruppen von Fotografien inszeniert. Aufnahmen zu "Freak Orlando" zeigen Zwerge, siamesische Zwillinge, verkleidete Figuren und andere außergewöhnliche Geschöpfe. Neben diesen farbenfrohen Bildern finden sich auch Ansichten aus der tschechischen Knochenkapelle Sedlec (1998) und Schwarz-Weiß-Aufnahmen von traditionellen chinesischen Schauspielern bei der Vorbereitung hinter der Bühne aus dem Kontext des Films "China. Die Künste – der Alltag".

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hatje Cantz Verlag mit Texten von Ingvild Goetz, Kristina Jaspers, Karsten Löckemann und Susanne Touw (dt./engl.): Ulrike Ottinger, hrsg. von Ingvild Goetz, Karsten Löckemann und Susanne Touw. ISBN 978-3-7757-3462-2

Ulrike Ottinger
29. Mai bis 6. Oktober 2012