Sagenhaft. Onegin mit dem American Ballet Theatre an der Met

10. Juli 2024 Martina Pfeifer Steiner —
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An der Metropolitan Opera in New York City war die Opernsaison bereits zu Ende, aber vor dem Sommer gab das American Ballet Theatre noch 'Onegin', ein faszinierendes Handlungsballett von John Cranko zur Musik von Tschaikowsky: klassisches Ballett in höchster Vollendung, die Bühne einem Renaissance-Gemälde gleich, die unglückliche Liebesgeschichte tief bewegend erzählt.

John Cranko (geboren 1927 in Südafrika, tragisch gestorben 1973 auf dem Rückflug von einer USA-Tournee an einem durch Schlaftabletten verursachten anaphylaktischen Schock!) kreierte das Meisterwerk (Uraufführung 1965) für das Stuttgarter Ballett, das er innerhalb weniger Jahre zu einer der führenden Ballettkompanien der Welt machte. Onegin basiert – genauso wie die Oper – auf Alexander Puschkins Versroman. Von Cranko stammt nicht nur die Choreografie, sondern auch das Libretto, wobei dies ja nur die Handlung vorgibt, emotionale Zustände und Leidenschaft seiner Figuren werden in der beeindruckenden Dramaturgie des Tanzes dargestellt. 

Die Musik wurde von Kurt-Heinz Stolze – deutscher Komponist, Pianist, Cembalist und Dirigent – aus verschiedenen Werken Peter Iljitsch Tschaikowskis zusammengestellt. Er lernte Cranko in Stuttgart kennen, wo er auch als Korrepetitor tätig war. Das Konzept war, nicht eine einzige Melodie aus Tschaikowskis Oper Eugene Onegin zu verwenden, also suchte Strolze nach passenden Passagen, auch in weitgehend unbekannten Werken, und formte viele Kompositionen, die für Klavier geschrieben wurden, zu Orchestersätzen um. Es ist solide, schöne Begleitmusik was man hört, sehr gefühlvoll dargebracht unter der Leitung des Dirigenten David LaMarche, die Faszination macht jedenfalls das auf der Bühne Gebotene dar. 

In einem dreidimensionalen Gemälde finden wir uns im reichen, prächtigen Gutshof wieder, wo die Personen jäh hervortanzen, sich in jeder ihrer Bewegungen die Handlung in ganzer Tragweite erschließt und intime, ergreifende Momente auf üppige, großartige Ensembleszenen treffen. Onegin, ein egozentrischer Aristokrat, trifft die Gutsbesitzertochter Tatjana, die sich in ihn verliebt. In einer Traumszene erscheint ihr der Angebetete und erwidert ihre Gefühle im sogenannten "Spiegel-Pas de deux", für welches doch ein Duett aus Tschaikowskys bekannten Ballett Romeo und Julia verwendet wurde. Keine Worte, für die hohe Kunst des Dargebotenen!

 Auch von Tatjanas schwärmerischen Liebesbrief bleibt Onegin ungerührt und beginnt bei ihrem Geburtstagsfest mit Schwester Olga zu flirten, so provokant, dass Lenski, sein Freund und der Verlobte von Olga, ihn zum Duell fordert. Lensky findet den Tod. Im dritten Akt sind zehn Jahre vergangen. Tatjana ist mit dem Fürsten Gremin verheiratet, und der auf vergeblicher Suche nach dem Glück zurückgekehrte Onegin begreift seinen Fehler. Im letzten Pas de deux (hier der Mittelsatz aus der symphonischen Dichtung Francesca da Rimini) ist die tragische Enttäuschung auf beiden Seiten zu spüren, zwei verletzliche Menschen, in ihren Gefühlen hin- und hergerissen, in Leidenschaft, Liebe, Zögern und Wut. Tatjana zerreißt jetzt Onegins Liebesbrief und bleibt verzweifelt zurück.

Nach fallendem Vorhang und einer Sekunde betroffener Stille frenetischer Applaus. Alle springen auf. Doch eigentlich ist dies nicht als Standing Ovation zu werten, alle wollen nämlich noch ein Foto von diesem imposanten Ereignis mit nach Hause nehmen.

Onegin
Ballett in drei Akten und sechs Szenen von John Cranko
Musik Peter Iljitsch Tschaikowski
bearbeitet von Kurt-Heinz Stolze
nach dem Versroman von Alexander Sergejewitsch Puschkin

Conductor: David LaMarche
Onegin: James Whiteside
Tatjana: Hee Seo
Lensky: Calvin Royal
Olga: Cassanda Trenary
Fürst Gremin: Andrii Ishchuk
Madame Larina: Alexandra Basmagy

American Ballet Theatre
an der Metropolitan Opera New York