Rodney Graham. Lightboxes

Die Entscheidung, seine Biografie in den Dienst der Kunst zu stellen, beinhaltet immer auch eine Entscheidung für eine bestimmte Rolle. Der Dandy oder der Bohemien, der Komplize der Unterdrückten oder der Lieferant der Privilegierten – wie jedes Berufsbild liefert auch das Künstlertum seine Klischees gleich mit. Der kanadische Künstler Rodney Graham inszeniert diese Rollenbilder virtuos – und hinterfragt dabei, wie sich aus der sozial definierten Rollenzuschreibung individuelle Identitäten herausbilden.

Profession als Obsession. Und immer in der Hauptrolle: Er selbst. Sein Medium: Der klassische Werbe-Leuchtkasten. So werden der detailreich inszenierte Antiquar oder auch der moderne Cowboy zum Werbeträger ihres Selbst. Doch hinter der glatten, strahlenden Oberfläche der illuminierten Fotografie, hinter der perfektionistischen Szenografie verbirgt sich immer auch ein Anflug von Melancholie, die von den Lasten kündet, seine Rolle im großen Theater des Lebens perfekt spielen zu müssen. Ein Lächeln wird kaum geschenkt, dem Blick nur selten begegnet. Gerne schweift er ins Nichts, in die Ferne – oder auch in die Vergangenheit.

Wie kaum ein anderer Gegenwartskünstler hat sich der 1949 geborene, heute in Vancouver lebende Rodney Graham auf die Spuren der Lebenswelten des 19. und 20. Jahrhunderts begeben. Dabei arbeitet er seit den 1970er Jahren an einem rhizomartigen, konzeptionellen Werk, das immer wieder neue Zeit- und Genresprünge wagt. In seinem Schaffen verknüpft er Film, Fotografie, Installation, Performance, Malerei, Literatur und Musik. Graham, der gemeinsam mit Künstlern wie Jeff Wall oder Stan Douglas zu der sogenannten "Vancouver School" zählt, zitiert Stile, Moden und Diskurse von der Romantik bis zur Postmoderne, um sie mit leiser Ironie zu kommentieren, weiterzudenken und umzuschreiben. Seine Inspirationsquellen reichen von Größen wie Sigmund Freud, Richard Wagner oder Edgar Allen Poe bis zu Pop- Heroen wie Kurt Cobain. Das eigene künstlerische Selbstverständnis, Haltungen wie Befindlichkeiten, werden dabei gleichermaßen ent- wie verhüllt.

In enger Zusammenarbeit mit dem Künstler ist es dem Museum Frieder Burda nun gelungen, die bisher größte Übersichtsausstellung mit Rodney Grahams Fotoleuchtkästen zu präsentieren. Die Leuchtkästen, ein zentrales Medium in seinem komplexen Werk, reichen von 2000 bis in die aktuelle Gegenwart. "Immer stehen die mannigfaltigen Selbstinszenierungen Grahams im Zentrum. Immer wirkt er wie ein melancholischer Zeitreisender, ein moderner Buster Keaton, der sich in verschiedenen Verkleidungen durch die Irrungen und Wirrungen moderner Kultur bewegt und dabei in die Rolle von Produzenten, Zuschauern oder Vermittlern schlüpft", so Patricia Kamp, Kuratorin der Ausstellung, über das Werk Rodney Grahams.

Den Auftakt zur Ausstellung bildet im Erdgeschoss des Museums das monumentale Triptychon "Antiquarian Sleeping in his Shop" von 2017. Graham verkörpert darin einen Antiquar, der in seinem mit und Kuriositäten dekorierten Laden beim Lesen eingenickt ist. Die Requisiten dazu sammelte Graham selbst in den Antik-und Trödelläden Vancouvers. Man kann seine Arbeit als vielschichtige Allegorie für den Rückzug in eklektische Stile und nostalgische, innere Welten sehen.

Seine "Media Studies 77" (2016) im Mezzanin erscheinen inmitten der post-faktischen Gegenwart wie eine Parodie auf die Medienforschung und den akademischen Betrieb. Hier tritt Graham in der Rolle eines dandyhaften Professors auf. Wenn das Medium die Botschaft ist, wie es der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan 1964 postulierte, ist es mitsamt seiner Diskurse zur reinen Oberfläche erstarrt. Der Bildschirm ist tot, die Tafel leer, die einzige Botschaft im Raum ist die Selbstinszenierung des Lehrenden. Zugleich überführt Graham diese Szene in eine flächige Komposition mit abstrakten und monochromen Elementen.

Im Obergeschoss des Museums sind Schlüsselwerke aus der letzten Dekade zu sehen – Leuchtkästen, von denen viele Grahams bekannteste Inkarnationen zeigen. Dazu gehören etwa die Rollen des Amateurmalers, des Kameraverkäufers, des Handwerkers, des "Rambling Man" und des Cowboys. In allen Details, in allen stilllebenartigen Arrangements lassen sich Bildzitate finden. Stets unterminiert er die Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur und verknüpft banale, alltägliche Zusammenhänge mit elaborierten Anspielungen auf die Kunst- und Geistesgeschichte.


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8. Juli bis 26. November 2017