Robert Rauschenberg - Jean Tinguely. Collaborations

Paris – New York. Die wichtigsten Zentren der Kunst und ihres transatlantischen Austausches um 1960. Dafür steht die spannende und vielfältige Zusammenarbeit von Robert Rauschenberg und Jean Tinguely, die im Museum Tinguely neu entdeckt werden kann. Mit hochkarätigen Leihgaben, die aus New York, Los Angeles über Sydney bis Stockholm nach Basel kommen, und mit zahlreichen Bild-, Film- und Textdokumenten wird die Sicht auf ein Kapitel der Kunstgeschichte geworfen, das exemplarisch für den intensiven künstlerischen Transfer der Zeit, die Befruchtung zwischen den künstlerischen Disziplinen und die Annäherung von Kunst und Leben steht, die für Tinguely und Rauschenberg gleichermassen zentral waren.

Wie kaum andere Künstler des 20. Jahrhunderts haben Robert Rauschenberg und Jean Tinguely die Grenzen der Bedeutung eines Kunstwerks und dessen Verhältnis zum Betrachter erweitert. Das Ziel, die traditionelle Kunst durch das Zusammenführen der Gattungen zu revolutionieren und in ein interaktives Kunst-Environment zu überführen, verbindet die beiden Künstler besonders in den 1960-er Jahren. Inspiriert und beflügelt durch Vorbilder der Dada-Generation – allen voran dem sowohl in Paris als auch in New York allgegenwärtigen Marcel Duchamp – wollten Rauschenberg und Tinguely Kunst und Leben miteinander verbinden.

Auf exemplarische Weise schufen sie Werke, die durch ein direktes Zusammenwirken zwischen Kunst und Betrachter geprägt sind. Beide Künstler beschäftigten damals intensiv mit den Möglichkeiten der Integration unterschiedlicher Formen von Technologien. Sie suchten nach Möglichkeiten, Bewegung, Licht, Klang sowie das Zeitmoment in ihre Kunst zu integrieren.

Die kooperative Arbeitsweise kam ihnen beiden auf dem Weg hin zu einer totalen Kunst sehr entgegen. Ihr gemeinsames Interesse an der Verknüpfung von Kunst und Technologie führte 1960 zu einer ersten Zusammenarbeit in New York anlässlich von Jean Tinguelys Homage to New York, der Aufsehen erregenden Aktion einer sich in ihre Einzelteile zerlegenden Konstruktion im Garten des Museum of Modern Art. Robert Rauschenberg steuerte dem Projekt eine Geldschleudermaschine Money Thrower for Tinguely’s H.T.N.Y. bei. Zwischen den beiden Künstlern entwickelte sich eine Freundschaft, deren Wichtigkeit sich in Rauschenbergs Combine mit dem Titel Trophy III (for Jean Tinguely) von 1961 manifestiert. Es ist eine von nur fünf Arbeiten, die Rauschenberg anderen Künstlern widmete, neben Tinguely sind dies Merce Cunningham, Teeny und Marcel Duchamp, John Cage und Jasper Johns.

Zentral für die künstlerische Zusammenarbeit von Tinguely und Rauschenberg sind ihre gemeinsamen Beteiligungen an epochalen Ausstellungsprojekten der 1960-er Jahre. Dazu gehört die von Pontus Hulten mitkuratierte umfangreiche Wanderausstellung kinetischer Kunst, die unter dem Titel "Bewogen Beweging" in Amsterdam erste Station hatte, wie auch das Projekt "Dylaby" (30. August bis 30. September 1962), ebenfalls im Stedeljik Museum in Amsterdam. Für die Amsterdamer "Bewogen Beweging"-Schau realisierte Rauschenberg auf Anregung von Billy Klüver Black Market und in Stockholm zeigte er die zwei Combines Door und Johanson’s Painting. Tinguely dagegen, der mit 27 Werken am umfangreichsten vertreten war, erregte in Amsterdam besonders mit seinem Ballet des pauvres und der auf dem Stockholmer Platz aufgestellten Narva Aufmerksamkeit.

Das Interesse beider Künstler an der Visualisierung von Zeitlichkeit und Bewegung, der Kooperation sowie der Präsenz des Betrachters resultiert in den beiden gemeinsam bestrittenen Bühnen-Performances, in denen Kunst buchstäblich in der Zeit existiert, in der sie stattfindet. Dazu gehört einerseits Variation II (auch Homage an David Tudor) vom 20. Juni 1961 im Theater der Amerikanischen Botschaft in Paris wie auch Construction of Boston, das am 4. Mai 1962 im Maidman Playhouse New York stattfand. Von diesen ephemeren Performances haben sich materielle Spuren erhalten, allen voran Rauschenbergs First Time Painting, das während der Ausstellung im Théâtre de l"Ambassade des États-Unis in Paris entstand.

Die Kooperationen führten bei beiden Künstlern zu einschneidenden Etappen innerhalb ihrer künstlerischen Entwicklung. Schon kurz nach Tinguelys ephemerer Aktion aus Bewegung, Rauch, Gerüchen und Geräuschen Homage to New York bat Rauschenberg Billy Klüver Ende März um seine Mithilfe bei der Realisierung von Oracle (1962-1965). Ursprünglich plante Rauschenberg ein interaktives Environment, bei dem die Person, die sich darin bewegte, Temperatur, Geräusche, Gerüche, das Licht usw. beeinflussen konnte. Bezeichnend innerhalb von Rauschenbergs Schaffen ist weiter, dass er sich nach seiner Beteiligung an "Dylaby" (30.8. bis 30.9.1961), für die er eine mehrteilige aus Fundobjekten zusammengetragene monumentale Installation beigetragen hatte, von der Arbeit an Skulpturen Abstand nahm, um zur Malerei zurückzukehren. Für Tinguely, auf der anderen Seite, begann nach seiner Homage to New York eine intensive Zeit der Produktion einer Reihe ephemerer Aktionen wie die theatralisch-inszenierten "Weltuntergänge", End of the World No. 1 und End of the World No. 2.


Zur Ausstellung erscheint ein reich bebildeter Katalog in Deutsch und Englisch mit Essays von Roland Wetzel, Annja Müller-Alsbach, Heinz Stahlhut, Mari Dumett und Jean-Paul Ameline. Basel/Bielefeld 2009, 256 S., CHF 58.-

Robert Rauschenberg - Jean Tinguely. Collaborations
14. Oktober 2009 bis 17. Januar 2010