Retour du voyage

Als Christian Rothmaler 1978 zum ersten mal nach Jamaika reiste, um die dort lebenden Riesenschildkröten zu sehen, fiel ihm der besondere Look der einheimischen, quietschfidelen Kingston Crowd ins Auge. Tiefhängende Hosen, rot-gelbgrüne Unterhemden und Rastalocken unter den Baseball- Mützen beeindruckten ihn sehr. Er freundete sich dort mit einem jungen Schwarzafrikaner, der sich "Kool Herc" nannte, an. Der zeigte ihm ein paar koole Platten und kaufte für ihn Dope.

Drei Jahre später reiste Jannis Marwitz mit einem riesigen Diktiergerät nach New York. Sein Ziel war es, ein Interview mit dem greisen John Cage zur non-figurativen Musik zu erhaschen. Die Freundin von Cage quartierte Jannis in der South-Bronx in eine stinkende kleine Krachbude ein. Als er sich bei Burger-King nebenan einen Burger mit Pommes und viel Ketchup reinziehen wollte, begegnete er einem jungen Afro-Nordamerikaner, der gerade auf einem feuchten Pappkarton tanzte. Marwitz wunderte sich, dass er so klapperte. Da zog der Typ eine Kanne aus der Tasche und sprühte an die Wand "Taki 183".

Zur gleichen Zeit besuchte Philipp Schwalb seine Mutter in Los Angeles. Sie wollte, das er ihr endlich mal wieder was anständiges zu Essen vorbeischafft: Maultaschen und Salat. Doch als er mit seinem Mietwagen durch Compton cruiste und ein Tellerwäscher seine Frontscheibe polieren wollte, sprangen drei maskierte Gangster auf die Kühlerhaube und schrien: "Cash Mony Nigger! Mothfucker go out of your car – Fag". Schwalb stieg schnell aus und rannte hinter die nächste brennende Mülltonne. Hinter der Tonne kauerte ein echt cooler Typ. In einem Gespräch erklärte ihm, der sich selbst Crackjunkie nennende Gee, dass er von einer Truppe "Bloods" überfallen wurde. Zum Abschied wollte er ihm eines seiner Gedichte vortragen. Das beeindruckte Philipp mächtig. Die letzte Line endete mit: "Bye bye P, because I"m Eazy-E".

Tiefparterre im Kunstraum zeigt Peter Aerschmann

Peter Aerschmann, in Fribourg geboren und heute in Bern wohnend, betrachtet seine Videoinstallationen als eine Art Werkzeug, um Bilder und Prozesse der Gegenwart zu analysieren. "Ich simuliere am Bildschirm das alltägliche Leben und untersuche damit das komplexe "System Welt", so Aerschmann, im Jahr 2011 von einem Stipendienaufenthalt in Südafrika zurück gekehrt. Die neuesten Videoarbeiten des mehrfach ausgezeichneten und international renommierten Künstlers reflektieren Eindrücke auch dieser Reise. Es ist nichts mehr, aber auch nichts weniger als das alltägliche Leben selbst, welches Anschauungs- wie Bildmaterial liefert für sein beständig anwachsendes Archiv an Bildern.

Dieser Baukasten ist die Substanz für die virtuelle Bühne, auf welcher Aerschmann neue Bildwelten konstruiert. Ein hochkomplexer Prozess, dem eine grosse Bandbreite an Aktionen eignet: Die aus ihrem realen Kontext heraus gelösten Figuren und Objekte werden in den virtuellen Raum gestellt – dies indem sie gesammelt, zerlegt, freigestellt, kategorisiert und abgespeichert werden. Beim Aufzeigen spezifischer Aspekte des "Systems Welt" mittels seiner sichtbar technisch konstruierten Collagen geht es Peter Aerschmann darum, sein reales Lebensumfeld ab - zubilden. Freilich sind dabei in seinen Arbeiten die Beschränkungen von Raum und Zeit aufgehoben und haben seine Videos weder eine Erzählstruktur noch einen klar definierten Anfang oder ein Ende. Vielmehr dreht es sich im unendlich laufende Systeme, die immer neue Kompositionen kreieren, um auch nach Tagen und Wochen nicht das exakt gleiche Bild zu zeigen.

Philipp Schwalb Jannis Marwitz Christian Rothmaler
Peter Aerschmann

11. September bis 23. Oktober 2011