Reisepassage. Ein Versuch an Rom

12. Mai 2023 Martina Pfeifer Steiner
Bildteil

Wer eine fremde Stadt besucht, greift selbstverständlich zum Reiseführer und liest Details nach, für die er sich in seiner unmittelbaren Umgebung nie interessiert hat. Die Stadt erschließt sich über ihre Architektur. Diesmal Rom. Bei meinen ausgedehnten Erkundungstouren ist immer präsent: All Places contain all Others. Nicht so in Rom. Rom hat viel zu viele Alleinstellungsmerkmale. Es ist überwältigend. Vor mehreren Jahrzehnten reiste ich als Maturantin in die ewige Stadt, damals sehr überfordert. Ich hatte die Vorstellung, ich müsste zumindest die "Italienische Reise" von Goethe als Vorbereitung lesen. Der war übrigens längere Zeit in Rom, inkognito, als Maler Filippo Möller, ab 29. Oktober 1786, mehr als ein Jahr lang.

Tag zwei
Staunend steh ich im Pantheon, kann vielleicht noch selber darauf kommen, dass sich die imposante Kuppel zur Vollkugel fertig denken ließe und genau im Mittelpunkt den Fußboden berühren würde. Die Information, dass dieser beliebte heidnische Tempel im Jahre 609 n.Chr. mittels achtundzwanzig Wagenladungen voller Gebeine kurzerhand zur Santa Maria dei Martiri umgewidmet wurde, erhöht den Erlebniswert jedoch deutlich.

Episode. Piazza d´Espagna. Spanische Treppe. Ich schau mich um, fühle mich dermaßen in Bedrängnis, aber sehe schon das Schild "Toilette". Egal, in welchem Zustand, was es kostet ... Treppe hinunter: Alles blitzblank, ich werde in eine Kabine geleitet, drauf steht groß und deutlich: dieser Dienst ist gratuito. Erleichtert komm ich wieder raus ... signora … na also doch! ... bitte nehmen Sie noch ein Caramello. War das eine Kunstinstallation? Natürlich hätte ich zwei Straßen weiter ins Café Greco gehen können, in dem auch Goethe gerne saß, wo der Café heute zwölf Euro kostet, doch nur falls man sich hinsetzt, an der Bar zwei Euro, ich stehe immer al banco. So üppig schön wie das Café, ist auch il bagno: weiß, Goldverziehrungen, verspielte Spiegel.

Tag vier
Bella Roma! Auf der Piazza Navona ist plötzlich nicht mehr zu unterscheiden, was gemalt und was real ist. 90 n.Chr. ließ Kaiser Domitian hier ein Stadion für sportliche Wettkämpfe bauen, 30.000 Zuschauer fanden auf der Tribüne Platz. 1485 wurden die Piazza Navona gepflastert und Wohnhäuser auf die Tribünenfundamente gesetzt. Ab dem 18. bis weit ins 19. Jhd. fanden dort auch Wasserspiele statt. Dazu verstopfte man die Abflüsse der Brunnen und die Römer:innen plantschten begeistert an heißen August-Samstagen.

Tag fünf
Unglaublich! Der Papst hat abgedankt, und ich wunderte mich heute, warum am Petersplatz Interviews mit Passanten geführt wurden – jetzt kommen diese im Fernsehen. Den Blitzeinschlag über dem Vatikan am Abend hab ich nicht gesehen, doch den gewaltigen Donner im Hotelzimmer in der Nähe des Bahnhofs deutlich gespürt.

Tag sechs
Abertausende Leute in den vatikanischen Museen – nur mit Trick bin ich noch rein gekommen. Auf dem Weg zur sixtinischen Kapelle im Besucherstrom. Werde ich sie je erreichen? Bin vollständig beeindruckt. Kann gar nicht genug schauen. Michelangelo war doch nur ein armer Künstler, der eine Kapelle total fleißig ausgemalt hat, und heute gehört dies zum Wertvollsten auf dieser Welt. Wer endlich drinnen ist, muss staunen, auch wenn das alles unfassbar bleibt. Und hier werden sie den neuen Papst wählen.

Tag zehn
Santa Maria Maggiore soll die größte Marienkirche der Welt sein. Die Legende erzählt, dass Papst Liberius und ein reicher römischer Adeliger am 4. August 352 den gleichen Traum hatten: dort wo am nächsten Morgen Schnee liegen würde, soll eine Kirche erbaut werden. Von der ursprünglichen Kathedrale stehen noch die 44 ionischen Säulen. Ich bin erstaunt, dass das Christentum so schnell zu solcher baulichen Prächtigkeit fand. Aber Tempel waren ja immer überdimensional. Götterfürchtig. Diese Monumentalität, sie zwingt uns in die Knie. In der Confessio vor dem Hauptaltar kniet ein überdimensionaler Pius IX., die Arme auf den dicken Marmorpolster gelegt, wohlbeleibt, vor den Holzbrettern der Bethlehem-Krippe.

Tag zwölf – Abreise
Café S.M. Maggiore. Direkt an der Bar – Cappuccino nur ein Euro und dazugelegt ein Stückchen Cornetto – führt eine Wendeltreppe zum Bagno. Dort unten befindet sich auch ein verborgener Raum mit kleinen Tischen, rustikalem Plastik-Bretterboden. Der Spülknopf befindet sich direkt am Hochbehälter, sehr elegant. Meine Vorgängerin hat ihn nicht gefunden. Der Kellner – er stammt aus Sardinien – unterhält sich aufgeregt mit mir darüber, dass wir einen neuen Papst bekommen. Ich war dabei, am Sonntag beim vorletzten Angelus-Gebet von Papst Benedict XVI., mitten in der Menschenmenge.

Am 11. Februar 2013 kündigte Papst Benedikt XVI. am Abend vor den Kardinälen überraschend seinen Rücktritt an.