The Real Eighties

Eine geläufige Verfallsgeschichte besagt: Alles Übel entspringt den Achtzigern. Sie sind das Scharnier zwischen New Hollywood, dem last hurrah der amerikanischen Filmkunst, und der High- Concept-Wüste der Gegenwart: eine Zeit des Übergangs, in der das amerikanische Kino sich im Einklang mit Präsident Reagans neoliberaler Agenda neu ordnete.

Die Filmschau "The Real Eighties" hinterfragt diese Vorstellung und sucht nach den widerständigen Texturen und Erzählungen des verfemten Jahrzehnts – auch und gerade aus der Mitte des Hollywood-Mainstream. Dort, in unmittelbarer Nähe zu den Traumfabriken eines Steven Spielberg oder George Lucas harren filmische Realismen ihrer Wiederentdeckung, die quer zu den politischen und ästhetischen Zumutungen der Ära stehen.

"The Real Eighties" schlägt Schneisen ins Kinojahrzehnt: Die Reihe interessiert sich für die kleinen Karrieren vergessener Meisterregisseure (James B. Harris, Amy Heckerling, Bill Forsyth) ebenso wie für vermeintliche Nebenwerke anerkannter Größen ("Someone to Watch Over Me" von Ridley Scott; "Thief" von Michael Mann; "The King of Comedy" von Martin Scorsese). Sie zeichnet die Laufbahnen einiger prägender Schauspieler nach (Mickey Rourke, Debra Winger, Jeff Bridges) und trägt gegenläufige, verpasste oder gar verlorene Momente in den kanonischen Lauf der Filmgeschichte ein: Was wäre der heutige Blockbuster, wenn nicht "Star Wars" und "E.T.", sondern John Carpenters melancholisches Sci-Fi-Roadmovie "Starman" (1984) oder Frank LaLoggias aufgeklärter Kinderhorrorfilm "Lady in White" (1988) als seine Blaupausen gedient hätten?

Die besten Filme dieses innerlich zerrissenen Jahrzehnts erzählen mit Nachdruck, aber ohne falsche Nostalgie vom Vergehen der Utopien der 1960er und 70er Jahre – aber auch von Lebenslinien, die sich über alle Umbrüche hinweg fortschreiben: "Because it hurts / so much to face / reality", wie Robert Duvall als ausrangierter Countrysänger in "Tender Mercies" (1983) intoniert. Bruce Beresfords Country-Melodram gehört so wie Robert Aldrichs Frauenwrestling-Epos "...All the Marbles" (1981) zu einer Gruppe von Filmen aus der ersten Hälfte der Achtziger, die sich auf die Lebenswelt der weißen Unterschicht einlassen, ohne bereits in den Klischees des White Trash gefangen zu sein. Weder "Problemfilme" noch "Milieustudien", entwerfen sie eine poetisch vermittelte Innenansicht des abgehängten Subproletariats.

Ein verwandter Zyklus von Schausteller-Filmen bearbeitet inmitten etablierter Genreformeln Momente der Entwurzelung und existenziellen Isolation: "Bronco Billy" (1980) von Clint Eastwood und "Knightriders" (1981) von George A. Romero besingen – vielleicht zum letzten Mal – ein Amerika unter offenem Himmel.

Hollywood in den Achtzigern, darunter stellen sich viele ein Kino der gefälligen Oberflächen und Wahrnehmungsintensitäten vor. "The Real Eighties" begegnet diesem Vorurteil mit einer Reihe abgründiger Noirs, die von einer grundlegenden Bilderskepsis zeugen, sich bisweilen aber auch verführen lassen von ihrer eigenen Schönheit – darunter Brian De Palmas "Blow Out" (1981), James Bridges" vergessenes Meisterwerk "Mike"s Murder" (1984) und Paul Schraders "American Gigolo" (1980), ein Thriller-Traktat über die Warenförmigkeit des (männlichen) Körpers, dessen kalkulierte Glattheit den Blick zugleich anzieht und abstößt. "No Way Out" (1987), ein später, zu Unrecht wenig beachteter Paranoia-Thriller von Genre-Routinier Roger Donaldson, führt noch die Vorstellung einer unter der Oberfläche verborgenen Tiefe ad absurdum. Der Titel des Films bringt es auf den Punkt: Es gibt kein Entkommen. Auch andere Bereiche des Genrekinos erfahren in den Achtzigern eine Renaissance.

Die Schau vollzieht insbesondere die Evolution der Komödie nach – von den ungehobelten, anarchischen Lustspielen der frühen Achtziger ("Airplane!" von Zucker, Abrahams & Zucker; "Fast Times at Ridgemont High" von Amy Heckerling) über das solitäre Werk von Albert Brooks, des anderen großen "Stadtneurotikers" ("Modern Romance"), bis zu den jugendkulturellen Sittenporträts aus der Feder von John Hughes, die das Genre in der zweiten Hälfte der Dekade bestimmen (z.B. "Some Kind of Wonderful"). Daneben etablieren sich vor allem der postklassisch-drastische Horrorfilm (George Romeros "Day of the Dead") und das dystopische Science-Fiction-Kino ("Escape from New York" von John Carpenter; Paul Verhoevens "RoboCop") als herausgehobene Reflexionsorte gesellschaftlicher Verwerfungen. Noch weiter hinab in die Untiefen des Populären lockt eine wahlverwandte Filmreihe, die parallel zu "The Real Eighties" im Filmcasino stattfindet: In Spätvorstellungen präsentiert der Klub Kaputt ungehobene Schätze aus den florierenden B- bis Z-Kinematografien der 80er Jahre.

"The Real Eighties" ist es um eine kritische Errettung des Kinojahrzehnts zu tun, das – kraft seiner eigenen Bilder – unter Beweis stellen soll, welche filmischen Wirklichkeiten es dem viel beschworenen Wirklichkeitsverlust entgegenzusetzen vermag: Keine Restauration, sondern die lange überfällige Wiederbelebung eines einmaligen filmgeschichtlichen Erfahrungsraums zwischen Verlust, Exzess und Alltäglichkeit. "The Real Eighties" präsentiert 47 Spielfilme und ist der bisher umfangreichste Versuch weltweit, das amerikanische Kino der 80er Jahre neu zu bestimmen.

The Real Eighties
Amerikanisches Kino 1980-89
8. Mai bis 23. Juni 2013